ATTR-Amyloidose
Wenn das Herz steif wird – was ist eigentlich die ATTR-Amyloidose?
Die Wildtyp-ATTR-Amyloidose ist eine selten diagnostizierte Erkrankung, die vielleicht gar nicht so selten ist.Bemerkbar macht sie mit Luftnot, Leistungsabfall, eventuell Wassereinlagerung in den Beinen. Eben mit den klassischen Herzschwäche-Zeichen.
Betroffen sind fast ausschließlich Männer ab dem 70. Lebensjahr.
Ursache ist, dass ein eigentlich harmloses Körpereiweiß mit dem Alter instabil wird, auseinander fällt und Ablagerungen bildet – vor allem im Herz. Diese machen den Herzmuskel steif und schwächer.
Früh erkannt und behandelt, lässt sich der Verlauf heute gut bremsen – deshalb lohnt es sich, über diese Erkrankung zu sprechen.
Fall 1: Alfred D., 80 Jahre alt– "Dat hätt ick nu nich jedacht…"
Alfred D, ein 80jähriger ehemaliger Maler war von seiner Hausärztin zum Kardiologen geschickt worden, weil er "immer schneller aus der Puste" war – selbst beim Kartoffelholen aus dem Keller. Was als normale Alterserscheinung wirkte, entpuppte sich als eine seltene, aber behandelbare Herzerkrankung: die ATTR-Amyloidose.
Alfred beschrieb es so:
"Ich habe jedes Jahr meinen Garten umgegraben und Kartoffeln gesetzt. Nu komm ick schon beim Anhäufeln ins Schnaufen. Und dat Herz kloppt so komisch... "
Im Ultraschall (Echokardiographie) fällt auf:
Die Herzwände sind verdickt (aber der Blutdruck ist normal)
Der Gewebedoppler misst die Steifigkeit des Herzmuskels
Mit der modernen Strain-Analyse fäält ein besonderes Muster auf:
um das Herz fällt im Herzbeutel eine kleine Wassereinlagerung auf (ein minimaler Pericarderguss)
Der Kardiologe denkt an mehr als "altersbedingte Herzschwäche" und meldet Herrn D. in der Spezialsprechstunde für Amyloidose in der Klinik an. Dort folgen spezielle Untersuchungen:
Welche Tests werden gemacht?
Herzecho → zeigt verdickte, schlecht bewegliche Herzwände
EKG → oft zu kleine Ausschläge (sog. Niedervoltage)
Blutuntersuchung → um andere Amyloidose-Formen (z. B. AL-Amyloidose) auszuschließen
Szintigrafie mit Knochenmarktracer (DPD-Scan) → erkennt die typische Einlagerung im Herzgewebe
Manchmal auch Herz-MRT oder Herzbiopsie
Ergebnis: Herr D. hat eine wildtypische ATTR-Amyloidose – das ist eine Form, die nicht vererbt wird und vor allem bei Männern über 70 auftritt.
Was passiert bei dieser Krankheit?
Die Wildtyp-ATTR-Amyloidose (kurz: wATTR) ist eine altersbedingte Eiweißspeicherkrankheit, bei der sich ein bestimmtes körpereigenes Eiweiß, das sogenannte Transthyretin (TTR), in kleinen Bruchstücken im Gewebe ablagert– vor allem im Herz, aber manchmal auch in Sehnen, Nerven oder der Wirbelsäule.
Was ist Transthyretin überhaupt?
Transthyretin ist ein Transporteiweiß, das hauptsächlich in der Leber gebildet wird. Es bringt zwei wichtige Stoffe durch den Körper:
das Schilddrüsenhormon Thyroxin
das Vitamin-A-Transportprotein Retinol-Bindungsprotein
Transthyretin ist also wichtig – aber im Alter kann es instabil werden.
Was passiert bei der wATTR-Amyloidose?
Transthyretin liegt normalerweise als ein stabiles Viererpaket (Tetramer) im Blut vor – wie vier Reifen bei einem Auto, die fest angeschraubt sind.
Im Alter verändert sich bei manchen Menschen die Stabilität dieses Tetramers – es beginnt sich langsam aufzulösen in einzelne Teile, sogenannte Monomere. Stell dir vor, die Reifen lösen sich vom Auto ab. Diese Einzelteile neigen dazu, sich fehlzufalten und zusammenzukleben – so entstehen Amyloid-Fibrillen: winzige, faserartige Ablagerungen. Das wäre so, als würden sie Reifen sich in dünne, fasrige Gummischnüre auflösen, die dann den Motor verstopfen.,
Die Amyloid-Fibrillen (die winzigen Fasern) lagern sich in Organen und Geweben ab, ganz besonders im Herzmuskel. Das kann man sich wie feinen "Zellstaub" vorstellen, der sich zwischen den Muskelzellen ansammelt. Dadurch werden die Herzwände dick und eben mit der Zeit auch steif macht.
Warum ist das fürs Herz ein Problem?
Das Herz ist ein Muskel, der sich dehnen und zusammenziehen muss – wie eine Pumpe. Die Amyloid-Ablagerungen machen den Herzmuskel jedoch immer unnachgiebiger, fast wie ein Lederbeutel, der sich nicht mehr richtig füllen kann. Doch für das Herz ist auch die Füllphase wichtig. Wenn das gesunde Herz sich entspannt, saugt es wie eine Saugpumpe das Blut aus den Vorhöfen ein und füllt sich dadurch schnell.
Das Ergebnis:
Das Herz füllt sich schlechter und langsamer mit Blut → es ist weniger Blut im Herzmuskel und es wird weniger Blut ausgepumt (weniger Volumen pro Herzschlag)
Es kommt zur sogenannten diastolischen Herzinsuffizienz, der Entspannungsstörung des Herzens. Wenn das Herz sich nicht ausreichend füllen kann, staut sich Blut vor dem Herzen zurück, es kann sich in der Lunge einlagern und in den Beinen
Der Patient merkt: Ich bekomme schneller Luftnot, bin müde, habe geschwollene Beine oder Herzstolpern
Warum gerade bei älteren Männern?
Die wATTR-Amyloidose betrifft fast ausschließlich Männer über 70, wobei sich erste Ablagerungen sogar schon ab dem 60. Lebensjahr entwickeln können – oft schleichend.
Warum Männer häufiger betroffen sind, ist noch nicht vollständig geklärt. Mögliche Gründe:
Geschlechtshormone könnten eine Rolle spielen (Testosteron begünstigt möglicherweise die Fibrillenbildung)
Männerherzen reagieren empfindlicher auf die Einlagerungen
Es könnte auch mit Muskelmasse und Stoffwechselvorgängen im Alter zusammenhängen
Woran erkennt man die Erkrankung?
Wichtig: Die Symptome der wATTR-Amyloidose sind oft nicht so richtig eindeutig, darum bleibt sie oft lange unerkannt.
Typisch sind:
Verdickte Herzwände im Ultraschall – obwohl der Patient keinen hohen Blutdruck hat
Herzfrequenz zu langsam oder unregelmäßig
Frühere Karpaltunnel-OP oder Rückenprobleme – oft ein erstes Anzeichen
Auffällig "leises" EKG trotz "kräftigem" Herz
Was kann man tun?
Die gute Nachricht:
Heute kann man die Erkrankung frühzeitig erkennen und gezielt behandeln –
Aktuell wird meist das Medikament Tafamidis verwendet, das das instabile Transthyretin wieder stabilisiert. So werden weniger Ablagerungen gebildet, und das Fortschreiten der Krankheit wird verlangsamt. Aber auch hier wird weiter geforscht und weitere Medikamente werden bald verfügbar sein.
Dazu kommt eine sorgfältige Behandlung der Herzschwäche – also z. B. mit Diuretika gegen Wasseransammlungen.
Die Therapie verbessert Lebensqualität und Lebenserwartung deutlich, wenn sie frühzeitig begonnen wird.
Was sind typische Symptome?
Luftnot beim Gehen oder Treppensteigen
Müdigkeit, Schwächegefühl
Schwellungen der Beine (Wasser in den Unterschenkeln)
Herzrhythmusstörungen oder Schwindel
Oft: Karpaltunnelsyndrom oder Rückenschmerzen Jahre vor der Herzerkrankung
Was kann Alfred D. selbst tun?
Regelmäßig zur Kontrolle gehen (Kardiologie)
Medikamente verlässlich einnehmen
Salz und Flüssigkeit einschränken, um Wassereinlagerung zu vermeiden
Auf den Körper hören: Bei neuen Symptomen frühzeitig zum Arzt
Herr D. sagt heute:
"Also dat Tafamidis, dat nehm ick jetzt wie mein Zuckerzeug. Und seitdem is auch besser mit de Puste. Wenn ick langsam mach, kann ick sogar wieder in'n Garten."
Wie häufig ist die Wildtyp-ATTR-Amyloidose?
Vor allem Männer über 70 Jahre betroffen
Vermutlich unterdiagnostiziert, aber etwa 1 von 10 älteren Männern mit Herzschwäche könnte betroffen sein
Die Erkrankung wird zunehmend erkannt – dank moderner Bildgebung und Spezialsprechstunden
Und dann gibt es noch die sehr, sehr seltene vererbten Form der ATTR-Amyloidose!
Neben der "Altersform" gibt es auch die hereditäre (erblich bedingte) ATTR-Amyloidose. Diese entsteht durch eine genetische Veränderung (Mutation) im Transthyretin-Gen. Das veränderte Eiweiß neigt dazu, sich schon in jüngeren Jahren im Körper abzulagern – oft nicht nur im Herz, sondern auch in Nerven, Magen-Darm-Trakt oder Augen.
Fall 2: Jan, 42 – "Mein Vater hatte das auch…"
Jan ist 42, arbeitet in einer Autowerkstatt. Seit Monaten bemerkt er, dass seine Hände abends kribbeln, die Füße taub werden, ihm beim Schrauben öfter die Werkzeuge runterfallen. Er wird von der Neurologie in die Amyloidose-Ambulanz geschickt. Dort stellt sich heraus: Er trägt eine Genmutation, die typisch ist für die hereditäre ATTR-Amyloidose.
Wie verläuft die genetisch bedingte Form?
Erkrankungsbeginn meist zwischen 30 und 60 Jahren
Oft beginnt sie mit Nervensymptomen: Brennen, Kribbeln, Taubheit, Muskelschwäche
Später kann auch das Herz betroffen sein – mit ähnlichen Symptomen wie bei Herrn D.
Die Erkrankung wird vererbt (autosomal-dominant) – das bedeutet: Jedes Kind eines Betroffenen hat 50 % Risiko, ebenfalls die Mutation zu tragen.
💉 Wie wird behandelt?
Neben Tafamidis gibt es bei dieser Form zusätzlich:
Patisiran oder Inotersen – Medikamente, die die Bildung des krankhaften Eiweißes blockieren
Manchmal auch Lebertransplantation (die Leber produziert Transthyretin)
Genetische Beratung für Familienangehörige ist wichtig
📊 Häufigkeit & Prognose
Seltene Erkrankung: etwa 1 von 100.000
In bestimmten Regionen (z. B. Portugal, Schweden, Japan) häufiger
Prognose hängt stark vom Beginn der Behandlung ab – je früher erkannt, desto besser
Unbehandelt kann die Krankheit fortschreiten, aber heute gibt es wirksame Therapien
Fazit: ATTR-Amyloidose – selten, aber behandelbar
Ob Wildtyp-ATTR im Alter oder erblich bedingt in jüngeren Jahren – die ATTR-Amyloidose ist heute eine Erkrankung, die man behandeln kann.
Die Erkrankung kann zwar nicht geheilt, aber erheblich gebremst werden. Je früher erkannt, desto besser!
Wichtig ist: Bei unklarer Herzschwäche, Nervenproblemen oder familiärer Vorgeschichte lohnt sich der genaue Blick.