Bluthochdruck bei Frauen

26.10.2024

Warum kriegen Frauen früher hohen Blutdruck? Welche Medikamente bei Frauen und warum? Welche Nebenwirkungen treten bei Frauen häufiger auf? Was ist bei Hitze zu beachten?

  1. Ich habe Bluthochdruck?
  2. Wer ist zuständig für die Blutdruckeinstellung?
  3. Was bei Frauen bei der Blutdruckeinstellung besonders beachtet werden muss (Langsamer Einstieg, hormonelle Einflüsse, Nebenwirkungen, Dosisreduktion bei Hitze)
  4. Blutdrucksenkende Wirkstoffe, ihre Geschichte und welche Besonderheiten Frauen beachten sollten (ACE-Hemmer, Sartane, Calciumantagonisten, Diuretika)
  5. Blutdruckmedikamente in den Alltag integrieren


1. Ich habe Bluthochdruck?

Die Lachfalten unter dem Lidrand sind die Vorhut. Dann folgen kleinere Warnschüsse: Hin und wieder eine schlaflose Nacht. Die einzelnen hellen Haare, die keine blonden Sommergäste sind, sondern neue graue Dauermieter.

Irgendwann ist es soweit:

"150 zu 95. Da müssen wir was machen!"

"Ich habe Bluthochdruck?"

Was? Ich habe doch gerade eben noch auf Zwergenstühlen beim Kindergartenelternabend diskutiert, ob man Kleinkindern Sauerkraut zumuten kann. Mütter die noch schriftliches Dividieren erklären müssen, können noch nicht in den Wechseljahren sein. Ich hatte doch immer zu niedrigen Blutdruck!

Aber irgendwann ist er da, der Bluthochdruck. Und im Durchschnitt meldet sich der Hypertonus bei uns Frauen sogar etwas früher, als bei den Männern. 

Ab 40 sollte jeder seinen Blutdruck kennen.

Ein Weckruf für einen gesunden Lebensstil

Ja, natürlich ist der hohe Blutdruck zunächst einmal ein Weckruf! Dass wir uns weniger Stress machen sollen. Natürlich dürfen wir weniger perfektionistisch sein. Uns Zeit nehmen für Pausen. Und den Morgennebel auf den Weg zur Arbeit unter all diesen herbstbunten Blättern tief einatmen. Und ja vielleicht ist auch genau jetzt die Zeit gekommen, dass die Kinder selbst die Wäsche waschen sollten und der Göttergatte ebenfalls. (Stressmanagement bei Bluthochdruck)

Natürlich dürfen wir uns frische Spinatblättchen mit Fetakäse und gebackenen Rosenkohl statt Nougatschokolade und Gummibärchen leisten. (Gesunde Ernährung bei Bluthochdruck)

Selbstverständlich ist es sinnvoll zu Fuß zur Arbeit zu gehen und uns einer Rückensportgruppe anzuschließen (Bewegung bei Bluthochdruck). Fastentag oder Intervallfasten um das Gewicht wieder runter zu kriegen. Salzarm essen, weniger Alkohol, kein Nikotin.

Manchmal ist der Blutdruck aber hartnäckig. Und bleibt trotz tapferer Umsetzung aller guten Vorsätze zu hoch.

Das bedeutet nicht, dass der gesunde Lebenswandel nicht hilft um gesund alt zu werden. Bitte weitermachen mit dem Gemüse, dem Sport und der Bewegung.

Oh Gott! Ich muss Tabletten einnehmen!

Aber jetzt ist wohl doch Zeit für eine Blutdruckpille.

Ich weiß! Keine möchte Tabletten einnehmen.

Ich wünschte es gäbe die erprobten, gut verträglichen Standartblutdrucktabletten in hübschen Pappschachteln verpackt. Vielleicht mit einem Foto von einem glücklichen Paar, barfuß am Strand spazierend, dessen weiße Haare im einer leichten Meeresprise wehen. Oder eine gutaussehende Seniorin, die unter einer uralten Eiche meditiert auf der Schachtel des Betablockers.

Dann wäre uns vielleicht eher klar, dass wir uns mit den kleinen runden Pillen etwas Gutes tun.

Vielleicht hätten wir weniger Abneigung gegen die Tabletten, wenn sie wie kleine Mini-Erdbeeren aussehen würden? Oder wie rosa Herzen?

Fliegende Autos erleben, dank lebensverlängernden Medikamenten

Aber auch die langweiligen, weißen Tabletten helfen. Wenn wir den Druck in den Gefäßen auf einem gesunden Niveau halten, schützen wir die haarfeinen Gefäße in unserem Gehirn, wir entlasten unser dauerarbeitendes Herz und ermöglichen unseren Nieren Abbauprodukte und Schadstoffe auszuscheiden, ohne dass ihre "Filter" durch zu hohen Druck zerstört werden. Und wir können gesund alt werden und mit den Enkeln in futuristischen Autos reisen, statt an gefäßbedingter Demenz zu leiden. Wir können in hohem Alter noch Bergluft atmen, statt durch Herzinfarkt oder Schlaganfall bettlägrig zu sein.

2. Wer ist zuständig für die Blutdruckeinstellung?

Für die medikamentöse Blutdruckeinstellung sind in der Regel die Hausärzte zuständig. Auf diesem Gebiet kennen sich Hausärzte hervorragend aus. Jeder Mensch ist anders und außerdem führen viele Wege nach Rom. Deshalb gibt es keine Einheitsempfehlung. (Die europäische Gesellschaft hat eine Leitlinie veröffentlicht, du findest sie leicht verständlich erklärt hier: Blutdruckmedikamente)

Wer ist noch zuständig? Du! 

Die Blutdruckeinstellung funktioniert einfach am besten, wenn du dich zur Chefin in der Sache machst: Deinen Blutdruck misst und aufschreibst. 

Wenn du selbst weißt, was du machen kannst, wenn der Blutdruck mal viel zu hoch ist. Und auch weißt, wie du reagierst, wenn du Blutdruck im Keller ist, vielleicht weil du einen Magen-Darm-Infekt hast, oder es superheiß ist. Deshalb würde ich dich gerne hiermit ganz offiziell befördern:

Du bist jetzt die Chefin für deinen Blutdruck. Such dir dein unterstützendes Experten-Team!

Ist der Blutdruck nur leicht erhöht wird oft mit einem Medikament begonnen. Bei höheren Werten erfolgt der Einstieg oft schon mit einem Kombinationspräparat. Hier findest du Informationen über die am meisten verschriebenen Blutdruckmedikamente.

Warum Männern keine Büstenhalter passen

Büstenhalter passen den meisten Männern schlecht. Weil sie keine Frauen sind.

Bei der Blutdruckmedikation darf bei uns Frauen das eine oder andere beachtet werden. Weil wir keine Männer sind.

3. Diese Punkte sollten bei der Blutdruckeinstellung bei Frauen beachtet werden:

  • Langsamer Einstieg
  • Hormonelle Einflüsse und Blutdruck
  • Nebenwirkungen
  • Notwendigkeit einer Dosisreduktion bei höheren Temperaturen in Erwägung ziehen

Langsamer Einstieg

Springst du direkt in den unbeheizten Pool? Oder brauchst du fünf Minuten für jede Stufe, die du tiefer in das kalte Nass steigst? 

Auch wenn du der "Sprung-ins-kalte-Wasser-Typ" bist: Wir Frauen gewöhnen uns häufig besser an ein neues Blutdruckmedikament, wenn du mit einer niedrigen Dosis beginnst und diese dann schrittweise auf die notwendige Menge erhöhst. Dieses Vorgehen erfordert jedoch, dass wir unseren Blutdruck selbst regelmäßig messen, idealerweise zu unterschiedlichen Tageszeiten, und uns mit unserem Arzt absprechen, um die Dosis entsprechend anzupassen. 

Die Dosis von ACE-Hemmern und Sartanen sollte langsam gesteigert werden. Diese Medikamente müssen täglich eingenommen werden, um ihre Wirksamkeit zu entfalten. Die erste blutdrucksenkende Wirkung tritt nach der ersten Einnahme ein, bei Ramipril stellt sich nach etwa vier Tagen ein stabiler Wirkstoffspiegel ein, und die volle blutdrucksenkende Wirkung zeigt sich, je nach Wirkstoff, erst nach bis zu vier Wochen regelmäßiger Einnahme. 

Eine zu schnelle Erhöhung der Dosis kann insbesondere bei Frauen zu niedrigem Blutdruck und Schwindel führen. Dann hast du vielleicht die Nase voll von den Blutdruckmedikamenten und glaubst nicht, dass du dich mit gut eingestelltem Blutdruck besser fühlst. Das wäre schade.

Für den unbeheizten Pool und für Neueinstellung auf Blutdruckmedikamente gilt: Mut ist nicht schlecht, aber eine gewisse Vorbereitung hilft, sowohl wörtlich als auch bildlich nicht "unterzugehen". Manchmal führen sogar kleine Schritte schneller ans Ziel.

Hormonelle Einflüsse und Blutdruck

Altmodischer Witz, der heute als geschmacklos gilt: Hormonschwankungen bei Frauen seien wie Wetterphänomene: Morgens heiter, mittags stürmisch, nachmittags ein kurzer Tränenregen, und abends Sonnenschein mit gelegentlichem Donnergrollen. Man wisse nie genau, was kommt – aber spannend bleibe es immer! 

Sicher fordern wir Frauen heutzutage ein, dass unsere Emotionen und Meinungen ernst genommen werden und nicht auf Hormonschwankungen geschoben werden. 

Trotzdem gehören diese Hormonschwankungen zu unserem Leben als Frau und sie haben definitiv einen Einfluss auf den Blutdruck.

  • Menstruationszyklus: Viele jüngere Frauen mit Bluthochdruck berichten, dass ihre Blutdruckwerte zuverlässig in der zweiten Zyklushälfte höher seien. Und das ist richtig: Der Blutdruck kann während des Menstruationszyklus schwanken, da Östrogen und Progesteron den Gefäßtonus beeinflussen. In der Lutealphase (zweite Zyklushälfte) ist der Blutdruck häufig etwas höher. Der Unterschied ist aber meist nicht so gravierend, dass die Medikation angepasst werden müsste.
  • Antibabypille: Auch das ist wichtig zu wissen: Bei 1-5% der Frauen, die die "Pille" einnehmen, führt diese zu erhöhtem Blutdruck. Deshalb ist auch für Frauen, die die Pille einnehmen regelmäßiges Messen sinnvoll. Solltest du zu den Frauen gehören, deren Blutdruck unter der Pille ansteigt, sprich mit deinem Frauenarzt über andere Möglichkeiten der Empfängnisverhütung.
  • Menopause: Mit abnehmendem Östrogenspiegel in den Wechseljahren steigt bei vielen Frauen das Risiko für Bluthochdruck, da Östrogen normalerweise gefäßerweiternd wirkt und ein Mangel den Blutdruck erhöhen kann. Deshalb sollte jede Frau ab 40 ihren Blutdruck kennen. Ein erhöhter Blutdruck sollte sowohl mit dem Hausarzt als auch mit der Frauenärztin oder dem Frauenarzt besprochen werden.
  • Schwangerschaft:  Blutdruckeinstellung bei Frauen die schwanger werden möchten und Blutdruckbehandlung in der Schwangerschaft wären zwei große eigene Kapitel. Hier nur ganz kurz zusammengefasst: 

Frauen, die schon Medikamente für Bluthochdruck einnehmen und schwanger werden möchten:

Frauen, die schwanger werden möchten, sollten sich vor der Schwangerschaft auf Medikamente umstellen lassen, die das heranwachsende Baby nicht gefährden. Oft werden ältere, bewährte Medikamente verwendet. 

Sollte eine Schwangerschaft festgestellt werden, und du nimmst Blutdruckmedikamente ein, ist es wichtig, umgehend den Arzt zu konsultieren. Einige Blutdruckmedikamente wie ACE-Hemmer und Sartane sollten nicht in der Schwangerschaft eingenommen werden. Sie sollten so schnell wie möglich (spätestens bis zur 12. Schwangerschaftswoche) umgestellt werden. 

ACE-Hemmer (wie Ramipril) und Sartane (wie Candesartan) sollen nicht in der Schwangerschaft eingenommen werden!


Blutdruck, der in der Schwangerschaft neu auftritt

Wenn Bluthochdruck erstmals in der Schwangerschaft auftritt, sollte umgehend ein Termin bei der Frauenärztin oder dem Frauenarzt vereinbart werden. 

Bei einem Blutdruck von 160/110 mmHg oder höher sollten schwangere Frauen sofort ihren Arzt oder den nächstgelegenen Kreißsaal aufsuchen. Die Sicherheit von Mutter und Kind steht an erster Stelle. Ärzte überprüfen dann, ob eine Präeklampsie vorliegt und leiten gegebenenfalls die notwendige Behandlung ein. 

Eine Blutdrucksenkung bei Schwangeren erfolgt besonders behutsam, um eine ausreichende Blutversorgung des Babys sicherzustellen. Die Kontrolle erfolgt oft mithilfe eines Ultraschalls des Blutflusses in der Nabelschnur, um sicherzustellen, dass Mutter und Kind gut versorgt sind.

Fazit: Zusammenfassend finde ich, dass wir Frauen den Herausforderungen von Hormonschwankungen mit bemerkenswerter Stärke und Anpassungsfähigkeit begegnen und heutzutage auch bei Bedarf auf eine angemessene medizinische Behandlung bestehen. Ob quälende Periodenkrämpfe, Null-Bock-Laune in der Teenagerzeit, geschwollene Beine während der Schwangerschaft, Kopfschmerzen als PMS-Symptom oder Schweißausbrüche in den Wechseljahren – all das meistern wir, und finden Lösungen, wie wir damit umgehen wollen. 

Vielleicht liegt gerade darin der Grund, warum wir im Leben, ähnlich wie bei Wetterphänomenen, immer wieder zeigen, dass wir selbst den heftigsten "Sturmfronten" gewachsen sind.  

Höheres Risiko für bestimmte Nebenwirkungen 

Frauen berichten tatsächlich häufiger über Nebenwirkungen bei Blutdruckmedikamenten. Es gibt ja Leute die behaupten, das läge daran dass Männer die Strategie verfolgen: "Wenn ich es ignoriere, existiert es nicht."

Ich bin überzeugt, dass Frauen wirklich häufiger unerwünschte Wirkungen bemerken. Das liegt vermutlich an dem geringeren Körperwasseranteil. Dafür haben wir mehr Fettgewebe. Medikamente, die sich im Fettgewebe anreichern oder wasserlöslich sind, können dadurch länger oder intensiver wirken. Unser Leberstoffwechsel baut bestimmte Medikamente langsamer ab, was zu höheren Wirkstoffkonzentrationen im Blut führt. 

Viele Medikamente wurden historisch vor allem an männlichen Probanden getestet, und die Dosierungen sind oft nicht optimal auf Frauen angepasst.

Hier sind die häufigsten Nebenwirkungen bei Blutdruckmedikamenten. Wenn du Nebenwirkungen bemerkst oder vermutest, sprich mit deinem Arzt und finde mit ihm gemeinsam eine Lösung. 

Calciumkanalblocker

Frauen neigen häufiger zu Wassereinlagerungen in den Beinen (Ödemen), besonders bei Calciumkanalblockern wie Amlodipin.

  • Lösung: Niedrigste verträgliche Dosis herausfinden. Versuchsweise auf Lercanidipin umstellen, das etwas seltener Ödeme verursacht.

ACE-Hemmer und Husten

Frauen entwickeln häufiger als Männer einen trockenen Husten als Nebenwirkung von ACE-Hemmern. 

  • Lösung: In solchen Fällen wird oft auf ein Sartan umgestellt.

Diuretika und Natrium- und Kaliumspiegel

Diuretika (harntreibende Mittel) können bei Frauen eher zu Elektrolytstörungen führen.

  • Lösung: Deshalb sollten immer eine möglichst niedrige Dosis eingenommen werden und bei der Routineblutabnahme Natrium und Kalium im Blut mitbestimmt werden. Bei Magen-Darm-Infekten mit Durchfall und Erbrechen sollte das Diuretikum pausiert werden. 

Schwindel

Eine zu schnelle Erhöhung der Dosis kann insbesondere bei Frauen zu niedrigem Blutdruck und Schwindel führen. 

  • Lösung: Die Dosis langsam steigern

Fazit: Akzeptieren wir, dass wir wachsamer sein sollten und auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen reagieren müssen. Ja, vielleicht spricht unser weiblicher Körper auch etwas deutlicher, oder wir Frauen hören einfach besser hin. 

Ignorieren funktioniert bei Nebenwirkungen jedenfalls ungefähr so gut wie bei einem Rauchmelder: Man kann so tun, als würde das Piepen nicht existieren, aber irgendwann steht trotzdem die Feuerwehr vor der Tür – oder in diesem Fall vielleicht der Rettungsdienst. 

Notwendigkeit einer Dosisreduktion bei höheren Temperaturen in Erwägung ziehen

Wir Frauen reagieren auf Temperaturschwankungen etwas sensibler als Männer. Wenn im Frühsommer die Temperaturen steigern, stellt unser Körper automatisch die Blutgefäße weit und durchblutet unsere Haut etwas mehr. Durch die zusätzliche Verdunstung von Schweiß kühlt unser Körper uns so bei Bedarf.

Die weiter gestellten Blutgefäße im Sommer führen zu niedrigerem Blutdruck. Viel Frauen, die Blutdruckmedikamente einnehmen und ihren Blutdruck selbst messen, bemerken diesen Blutdruckabfall. Sinkt der obere Blutdruckwert öfter unter 110 mmHg, sollte die Medikamentendosis reduziert werden (Oft wir die Wassertablette pausiert, mehr dazu unten). 

Unbedingt im Herbst daran denken: Bei kühleren Temperaturen muss die Dosis wahrscheinlich wieder erhöht werden.

Storys, die nicht einmal dein Hausarzt kennt

Jetzt möchte ich euch einige Details über die am häufigsten verwendeten Blutdruckmittel vorstellen und hoffe, euch dadurch die Scheu vor eventuell notwendigen Tabletten nehmen zu können. Die unten aufgeführten Erstlinienpräparate sind in der Regel gut verträglich. Dennoch gibt es, wie bei allen wirksamen Arzneimitteln (egal übrigens, ob synthetisch oder pflanzlich), gelegentlich unerwünschte Nebenwirkungen. Deshalb war es mir wichtig, die häufigsten Nebenwirkungen aufzulisten, damit ihr sie erkennt und wisst, wie ihr darauf reagieren solltet. Diese Informationen sollen euch keinesfalls davon abhalten, verschriebene Medikamente einzunehmen, sondern euch vielmehr ein Gefühl der Sicherheit im Umgang damit geben.

Seid gespannt, denn im nächsten Abschnitt erfahrt ihr, welche Blutdruckmedikamente am häufigsten verschrieben werden, wie sie wirken und welche Vor- und Nachteile sie haben. Und einige spannende Geschichten, die wahrscheinlich nicht einmal euer Hausarzt kennt


Weißt du eigentlich wie unsere heutigen Blutdruckmedikamente entdeckt wurden?

4. Blutdrucksenkende Wirkstoffe, ihre Geschichte und welche Besonderheiten Frauen beachten sollten (ACE-Hemmer, Sartane, Calciumantagonisten, Diuretika)

ACE-Hemmer

Fasziniert von der stillen Jägerin

 "Hüte dich vor der Schlange", flüsterte José. Der Plantagenarbeiter schnitt alte Äste von den Kaffeepflanzen und warf Sérgio Ferreira einen warnenden Blick zu. "Sie ist die Hüterin des Waldes. Wenn sie zubeißt, bleibt dein Blut stehen!"

"Sie sprechen von der brasilianischen Lanzenotter, der gefährlichsten Schlange Brasiliens!" erklärte der Besitzer der Kaffeeplantage Ferreira. "Sie verharrt stundenlang bewegungslos, bis ihr Opfer nahe genug ist. Schwach und blass sind die Gebissenen, als würde das Leben aus ihnen herausfließen. Mein Vater nannte die Otter den 'Fluch der Plantagen'."

Aber Sérgio Ferreira, ein studierter Pharmakologe, hütete sich nicht. Er war fasziniert von dem Gift, das offensichtlich Blutdruck und Blutgerinnung beeinflusste. Er ließ eine Schlange fangen und beschloss, das Toxin genauer zu untersuchen.

Die graubraune Schlange mit dem gezackten Muster zog ins Labor ein. Schlangenspezialisten "molken" die Schlange: Sie massierten die Giftdrüsen hinter den Giftzähnen, während die Schlange auf ein dünnes Gefäß biss. Das Gift floss so aus den Zähnen direkt in das Gefäß.

Ferreira entdeckte, dass Eiweißstoffe aus dem Schlangengift ein Enzym blockieren, das bei der Blutdruckregulierung eine Rolle spielt. Das Gift blockierte das Angiotensin-Converting-Enzyme, oder kurz ACE. Die glatte Gefäßmuskulatur entspannte sich, der Widerstand im Gefäßsystem sank. Ferreira erkannte das dieser Mechanismus Millionen Menschen, die durch zu hohen Blutdruck krank wurden, helfen konnte.  Hohe Giftdosen, wie bei einem Schlangenbiss ließen den Kreislauf zusammenbrechen, geringe Dosen senkten erhöhten Blutdruck. 

Der Fluch war gebrochen.

Doch die Eiweißstoffe im Schlangengift waren im menschlichen Körper nur sehr kurz haltbar. Forscher entwickelten auf Basis von Ferreiras Entdeckung eine synthetische Verbindung, die das ACE im menschlichen Körper blockiert. 1977 wurde das entwickelte Medikament Captopril schließlich zugelassen. Moderne ACE-Hemmer haben inzwischen eine Wirkdauer von 24 Stunden.

Die ACE-Hemmer brachten eine Revolution in der Behandlung von Bluthochdruck und Herzinsuffizienz. Sie senken den Blutdruck, verhindern Herzinfarkte und Schlaganfälle und schützen die Nieren. Sie entlasten das Herz bei Menschen mit Herzschwäche, verbessern die quälende Atemnot und verlängern das Leben dieser Patienten. Außerdem haben ACE-Hemmer eine entzündungshemmende Wirkung, die Gefäße und Herzgewebe schützt und das Fortschreiten der Gefäßverkalkung verlangsamen kann.


Auch heute noch sind ACE-Hemmer, wie Ramipril, Enalapril,  Lisinopril oder Perindopril die Grundpfeiler der Blutdrucktherapie. 

ACE-Hemmer-Husten, eine nicht seltene Nebenwirkung

Wissen sollte man, dass bei dieser Medikamentengruppe bei 5-20% der Menschen (je nach Studie und Wirkstoff) ein trockener Husten und ein Gefühl wie ein Krümel im Hals auftreten kann. Der Husten kann manchmal auch erst nach längerer Einnahmzeit auftreten. Bei Verdacht auf ACE-Hemmer-Husten sollte der ACE-Hemmer auf ein Sartan (siehe. unten) umgestellt werden. Nach zwei bis drei Wochen verschwindet "der Krümel im Hals" wieder.

ACE-Hemmer senken den Blutdruck, schützen die Niere, entlasten das Herz und verhindern Schlaganfälle und Herzinfarkte und verlängern so die Lebenserwartung.

Bei der ersten Einnahme kann der Blutdruck etwas stärker absinken. Deshalb solltest du bei der ersten Einnahme die empfohlene Startdosis nicht überschreiten, ausreichend trinken und dich bei Bedarf Hinsetzen oder Hinlegen und eine Pause machen. Die meisten Frauen vertragen die Startdosis gut.

  • Ramipril: Startdosis: 2,5 mg einmal täglich; Maximale Tagesdosis: 10 mg (aufgeteilt in 1–2 Dosen)
  • Enalapril: Startdosis: 5 mg einmal täglich; Maximale Tagesdosis: 40 mg (aufgeteilt in 1–2 Dosen)
  • Lisinopril: Startdosis: 10 mg einmal täglich; Maximale Tagesdosis: 40 mg einmal täglich
  • Perindopril: Startdosis: 5 mg einmal täglich; Maximale Tagesdosis: 10 mg einmal täglich

Sartane (Angiotensin-II-Rezeptorblocker)

Sartane sind ebenfalls lang erprobte Blutdruckmedikamente, die die Gefäße weitstellen und das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Nierenversagen verringern und somit die Lebenserwartung verlängern.

Erst einige Zeit nach der Einführung des ACE-Hemmers Captopril fiel dem englischen Kardiologen Dr. Ball die Hauptnebenwirkung der ACE-Hemmers auf: Erstaunlich viele seiner Patienten, die Captopril einnahmen, klagten über trockenen Husten. Die Veröffentlichung dieser Nebenwirkung führte in der Pharmaindustrie zu einem Wettlauf um ein Medikament, das diese Nebenwirkung nicht verursachen würde.

Weißt du wie unser Blutdruck reguliert wird?

Das Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systme (RAS-Sstem)

Die Evolution kennt keinen Bluthochdruck – dieser tritt meist erst in höherem Alter auf, wenn wir unseren Nachwuchs großgezogen haben. Danach ist es der Evolution egal ob wir am hohen Blutdruck sterben oder gesund hundert Jahre alt werden. 

Die Natur hat den Mechanismus zur Blutdruckregulation entwickelt, um Blutverlusten gegenzusteuern. Deshalb wandere mit mir 10 000 Jahre zurück in die Steinzeit, und sieh wie die Blutdruckregulation über das Renin-Angiotensin-System (RAS) funktioniert. Das RAS-Systhem hat garantiert vielen deiner Vorfahren das Leben gerettet.

Stell dir Mo, den Steinzeitjäger, vor. Er war es, der den Speer durch die dicke Haut direkt in das Herz des Mammuts gebohrt hatte. Die Sippe würde den ganzen Winter Fleisch haben. Doch das sterbende Tier, sich ein letztes Mal aufbäumend, hatte Mo eine große Wunde am Oberschenkel zugefügt. Der Schnee färbte sich rot, obwohl der Älteste eine Mammutsehne zur Blutstillung um Mos Oberschenkel band und die Wunde mit einem Kaninchenfell abdeckte, als die Blutung endlich stoppte. Die Frauen hatten befürchtet, dass Mo dem haarigen Riesen in die Geisterwelt folgen würde.

Bei einem großen Blutverlust sinkt der Blutdruck. Druckrezeptoren in der Niere bemerken den niedrigen Blutdruck, und die Niere schüttet das Hormon Renin aus. Jetzt läuft eine Kaskade an Reaktionen ab, um den Blutdruck schnell soweit zu heben, dass unser Gehirn keinen Schaden nimmt.

Das Renin in Mos Körper wandelt das Protein Angiotensinogen in Angiotensin I um. 

Das in der Lunge gebildete Enzym ACE (Angiotensin-konvertierendes Enzym) wandelt Angiotensin I in Angiotensin II um (diesen Schritt hemmen übrigens die ACE-Hemmer und senken damit den Blutdruck). 

Jetzt haben wir eine wirksame körpereigene Substanz: Angiotensin II verengt die Blutgefäße und hebt damit den Blutdruck an, sodass Mos Gehirn zügig trotz des Blutverlustes ausreichend durchblutet wird. 

Aber das Angiotensin II hat auch eine langfristigere Wirkung:  Angiotensin setzt Aldosteron in der Nebenniere frei. 

Dadurch hält die Niere mehr Wasser und Salz zurück. So ist mehr Flüssigkeit in den Gefäßen, und der Blutdruck steigt und stabilisiert sich. 

Zwei Stunden nach der Verletzung konnte Mo – zwar blass, aber auf einen Stock gestützt und mit Hilfe der anderen Männer – in die Höhle humpeln. 

Das funktionierende RAS-System hatte Mos Leben nach dem gefährlichen Blutverlust gerettet.

Die Entwicklung des ersten Sartans

Forscher hatten bereits herausgefunden, wie die Blutdruckregulation und das RAS-Systhem des Körpers funktionierte.

Um ein Blutdruckmedikament zu entwickeln, das keinen Husten verursacht, wollte man einen Angiotensin-II-Rezeptor-Blocker (AT-II-Blocker) entwickeln. Ein Forscherteam der Firma Merck & Co. versuchte jahrelang in einem Labor in Rahway, New Jersey, ein solches Medikament zu finden. Mehr als zehn Jahre lang testeten die Forscher verschiedene Moleküle. Die Zeit drängte, denn auch andere Firmen arbeiteten an der Entwicklung eines AT-II-Blockers.

Doch die anfangs getesteten Moleküle hatten nur eine schwache blutdrucksenkende Wirkung, weil sie entweder nicht stark genug an den Angiotensin-II-Rezeptor banden oder im Körper zu schnell abgebaut wurden. Mist.

Dann fanden die Forscher eine Substanz, die den Blutdruck gut senkte. Aber wieder ein Rückschlag: Nebenwirkungen wie Übelkeit, Schwindel und Kopfschmerzen! Die Substanz blockierte nicht nur den Angiotensin-II-Rezeptor, sondern auch andere Rezeptoren im Körper. Einige Moleküle führten auch zu einer stark erhöhten Herzfrequenz.

Immer wieder passten die Forscher die Molekülstruktur an. 

Doch dann bei den Test der neuen Moleküle: Was für eine Überraschung! Hier war eine Testsubstanz, die den Blutdruck wunderbar senkte. Keiner hatte bei dieser Testsubstanz den Durchbruch erwartet.

Damit war die Entdeckung von Losartan letztlich ein Zufallsfund: Nach über zehn Jahren Forschung endlich ein Molekül, das die gewünschten Eigenschaften aufwies.

Nach Laborstudien und Tests an Tieren, die die Wirksamkeit und Sicherheit bestätigten, wurde Losartan in klinischen Studien am Menschen getestet. Das Medikament zeigte die erhoffte blutdrucksenkende Wirkung, ohne den für ACE-Hemmer typischen Husten auszulösen und ohne relevante andere Nebenwirkungen.

Losartan kam schließlich 1995 als erstes Sartan auf den Markt und begründete die Medikamentenklasse der Angiotensin-II-Rezeptorblocker, die bis heute eine wichtige Rolle in der Behandlung von Bluthochdruck spielt.

Die Wirkweise der Sartane ist der der ACE-Hemmer sehr ähnlich, weshalb man sie nicht kombiniert: Es wäre nur eine geringe zusätzliche blutdrucksenkende Wirkung zu erwarten. 

Die heutigen Sartane

Die am häufigsten verwendeten Wirkstoffe sind Candesartan, Valsartan, Irbesartan, Telmisartan, Olmesartan und Losartan. 

Auch bei der Anwendung von Sartanen sollte, speziell bei uns Frauen langsam gestartet werden.

  • Losartan: Startdosis: 50 mg einmal täglich; Maximale Tagesdosis: 100 mg (aufgeteilt in 1–2 Dosen)
  • Valsartan: Startdosis: 80 mg einmal täglich; Maximale Tagesdosis: 320 mg einmal täglich
  • Candesartan: Startdosis: 8 mg einmal täglich; Maximale Tagesdosis: 32 mg einmal täglich
  • Irbesartan: Startdosis: 150 mg einmal täglich; Maximale Tagesdosis: 300 mg einmal täglich
  • Telmisartan: Startdosis: 40 mg einmal täglich; Maximale Tagesdosis: 80 mg einmal täglich

Calciumanatgonisten

Als weitere Substanzgruppe, die sich gut sowohl mit ACE-Hemmern, als auch mit Sartanen kombinieren lässt gibt es die Calciuamantagonisten, die die Gefäße weitstellen und so den Blutdruck senken. Am meisten wird Amlodipin verwendet, aber auch das Lercanidipin. Als harmlose Nebenwirkung führt das Weitstellen der Gefäße manchmal zu Wassereinlagerungen um die Knöchel und über dem Schienbein. Diese Nebenwirkung ist völlig harmlos und Dosisabhängig. Die meisten Frauen vertragen 5 mg Amlodipin ohne Nebenwirkungen (also ganz ohne Wassereinlagerungen). Viele vertragen auch die 10 mg völlig ohne Nebenwirkungen. Wenn unter Amlodipin Wassereinlagerungen lästig werden sollten, kann versuchsweise auf Lercanidipin umgestellt werden, bei diesem Wirkstoff tritt diese Nebenwirkung auch bei höherer Dosierung seltener auf.

  • Amlodipin: Startdosis: 5 mg einmal täglich; Maximale Tagesdosis: 10 mg einmal täglich
  • Lercanidipin: Startdosis: 10 mg einmal täglichMaximale Tagesdosis: 20 mg einmal täglich

5. Wassertabletten (Diuretika)

Sollte mit einem Medikament oder mit einem Kombinationspräparat (aus Calciumantagonisten und ACE-Hemmer, oder Calciumantagonist und Sartan) eine Blutdruckeinstellung nicht gelingen, sollte bei Frauen eine Wassertablette zusätzlich begonnen werden. Auch bei stark schwankenden Blutdrucktabletten reicht oft der Hauch einer Wassertablette um die Blutdruckwerte durchgehend gleichmäßiger zu gestalten.

Wassertabletten gehörten zu den ersten Blutdrucktabletten überhaupt, die in den 50iger Jahren auf den Markt kamen. Sie stammen aus der Zeit der ersten Beutelstaubsauger.

Die Wassertabletten für den Bluthochdruck sind so niedrig dosiert, dass sie gar nicht unbedingt entwässernd wirken. Das ist gut, denn der Harndrang, den stärker entwässernde Präparate verursachen, kann ja auch lästig sein. (Und hygienisch duftende, schöne Toiletten gibt es einfach zu wenig so über die meisten Städte verteilt.)

Die Blutdruckregulation erfolgt über die Niere. Die Wassertabletten helfen der Niere den Blutdruck zu senken und gleichmäßiger zu halten. Und das funktioniert bei uns Frauen sogar noch besser als bei den Männern: Stärkere Blutdrucksenkung, weniger Nebenwirkungen.

Frauen können ihren Blutdruck auch stärker reduzieren, wenn sie weniger Salz essen. Die Diuretika wirken ähnlich: Sie entziehen dem Körper Natrium und Wasser.

Studien wie die ALLHAT-Studie und Forschungsergebnisse von Messerli et al. haben gezeigt, dass Frauen tendenziell besser auf Diuretika ansprechen und eine stärkere Blutdrucksenkung erleben. Diese Daten legen nahe, dass Diuretika für die Behandlung von Bluthochdruck bei Frauen eine besonders effektive Wahl sein können

1. Hydrochlorothiazid (HCT): Startdosis: 12,5 mg einmal täglich; Maximale Tagesdosis: 25 mg einmal täglich

  • Hinweis: HCT wird häufig in Kombination mit anderen blutdrucksenkenden Medikamenten verwendet, aber aufgrund eines potenziell erhöhten Hautkrebsrisikos wird eine langfristige Einnahme mit Vorsicht empfohlen.

2. Chlortalidon: Startdosis: 12,5 mg einmal täglich; Maximale Tagesdosis: 25 mg einmal täglich

  • Hinweis: Chlortalidon hat eine längere Halbwertszeit und kann im Vergleich zu HCT eine stärkere und anhaltendere blutdrucksenkende Wirkung haben.

3. Indapamid: Startdosis: 1,5 mg einmal täglich (Retardform) ; Maximale Tagesdosis: 2,5 mg einmal täglich

  • Hinweis: Indapamid wird oft bei älteren Patienten eingesetzt und hat eine gute blutdrucksenkende Wirkung mit weniger Stoffwechseleffekten auf Blutzucker und Lipide.

4. Furosemid (Schleifendiuretikum): Startdosis: 10-40 mg einmal täglich: Maximale Tagesdosis: 80 mg (meist auf 2 Dosen verteilt)

  • Hinweis: Furosemid wird in der Regel nicht als Erstlinientherapie für Bluthochdruck eingesetzt, ist aber nützlich bei Patienten mit zusätzlicher Herzinsuffizienz oder schweren Ödemen.

5. Torasemid (Schleifendiuretikum): Startdosis: 2,5 mg einmal täglich; Maximale Tagesdosis: 20 mg einmal täglich

  • Hinweis: Torasemid hat eine längere Wirkdauer als Furosemid und wird bei Bluthochdruck mit Herzinsuffizienz bevorzugt, wenn eine stärkere entwässernde Wirkung erforderlich ist.

    Diese Diuretika werden je nach Patientenprofil und Begleiterkrankungen ausgewählt und dosiert. Regelmäßige Kontrollen der Elektrolytwerte (Blutsalze wie Natrium und Kalium) und Nierenfunktion sind bei Diuretika wichtig, um Nebenwirkungen zu vermeiden.

    Jetzt kommt das "Aber"! Und das sind die viel diskutierten, möglichen Nebenwirkungen der Diuretika.

    Jahrelang war das HCT das meist verschriebene Diuretikum zur Blutdrucksenkung, es ist in vielen Kombinationspräparaten enthalten.

    Es muss ungefähr 2016 gewesen sein, als ich Claudia, meiner Sportkameradin im Rückenkurs, das HCT aufgeschrieben hatte. Claudias Katze war verschwunden. Ausgebüchst, und nirgends zu finden. Steffen, ihr Sohn war von seiner Freundin verlassen wurden und Claudia machte sich Sorgen um ihn. Der Blutdruck war außer rand und Band.

    "Hat das Zeug Nebenwirkungen?", fragte Claudia.

    "Man sollte die Nierenwerte und die Blutsalze wie Natrium und Kalium etwas im Blick haben", sagte ich. "Ansonsten ist das Medikament seit den 50iger Jahren auf dem Markt. Ist so alt wie die Musik von Elvis Presley. Ich glaube, da kennen wir alle Nebenwirkungen."

    Es war  ein Schock für Ärzte, die jahrelang HCT verschrieben hatten und natürlich für die Menschen die HCT eingenommen hatten, als 2018 eine Studie vermuten ließ:

    "HCT erhöht vermutlich das Risiko für weißen Hautkrebs etwas."

    Die dänische Registerstudie von Pedersen et al. (2018), legte nahe, dass es einen Zusammenhang zwischen der Langzeitanwendung von Hydrochlorothiazid und einem erhöhten Risiko für Basaliome und Plattenepithelkarzinome gibt. (Weitere Studien konnten diesen vermuteten Zusammenhang nicht immer bestätigen.) 

    Ich sah die Menschenschlange in bunten Mänteln und mit besorgten Gesichtern schon als ich mich über den Hintereingang hereinschlich. Es war ein normaler Mittwoch im Oktober 2018. Was war los? Claudia stand auch bei den bunten Mänteln, ihre rote Jacke hatte ich sofort erkannt.

    "Weißt du, dass mein Bruder mit 36 Jahren an einem schwarzen Hautkrebs gestorben ist?" fragte sie, als sie neben mir saß.  "In der Sendung "Visite" haben sie gestern gesagt, dass Leute, die das Elvis-Presly-Medikament, dass du mir verschrieben hast, einnehmen, häufiger Hautkrebs kriegen. Ich hab jetzt alle meine Blutdruckmedikamente abgesetzt."

    "Claudia, du weißt, dass ich dir nur Medikamente aufschreibe, die ich selbst einnehmen würde! Diese Nebenwirkung war, als ich dir das Elvis-Presley-HCT verschrieben habe, wirklich noch nicht bekannt. Anfang Oktober wurde eine große dänische Studie veröffentlicht. HCT begünstigt wahrscheinlich weißen Hautkrebs, den man gut behandeln kann, wenn man ihn rechtzeitig entdeckt. Du brauchst keine Angst zu haben, an Hautkrebs zu sterben. Darf ich dir das alles einmal ausführlich erklären?

    HCT scheint eine photosensibilisierendes Eigenschaft zu haben. Das heißt, dass das Medikament die Haut empfindlicher gegenüber UV-Strahlung macht. Die Theorie ist folgende: HCT lagert sich in der Haut ein. Bei Sonnenbestrahlung absorbiert das HCT in der Haut das Sonnenlicht und begünstigt die Bildung von Sauerstoffradikalen. Die freien Radikale führen zur Veränderung der DNA der Hautzellen. Das kann möglicherweise die Entstehung von weißem Hautkrebs begünstigen, insbesondere bei Menschen, die längere Zeit höhere Dosen HCT eingenommen haben."

    "Was heißt eine hohe Dosis? Wie lange muss man es einnehmen bis was passiert?"

    "In der Studie wurde eine Menge von 50 000 mg HCT als Grenzwert angegeben. Wenn du täglich 25 mg HCT einnimmst, ist diese Menge nach ungefähr 5 Jahren erreicht."

    "Für mich ist das so ein Schock! Ich habe die Nacht nicht geschlafen. Du weißt, was ich mit meinem Bruder durch habe!"

    Krebs? Hilfe! Wie gefährlich ist das?

    "Claudia, ich verspreche dir, dass du nicht wegen dem Elvis-Medikament an Hautkrebs sterben wirst. Erstens verursacht das HCT keine Melanome, also keinen schwarzen Hautkrebs.

    Das HCT begünstigt  nicht so gefährliche Basaliome und Plattenepithelkarzinome. Basaliome werden auch als weißer Hautkrebs bezeichnet. Sie bilden keine Metastasen, also keine Tochtergeschwülste. Auch Plattenepithelkarzinome der Haut bilden nur selten Tochtergeschwüre. Wenn man den weißen Hautkrebs rechtzeitig behandelt, macht er wenig Ärger.

    Mein Vater hat mit 60 Jahren ein Basaliom an der Stirn bemerkt. Sein Hautarzt hat es wunderschön wegoperiert. Ich sehe inzwischen nicht einmal mehr die Narbe. Meine Mutter hatte mich gefragt, ob ich sehe, was sie da am Rücken juckt, als sie 72 Jahre alt war. Es war ein größeres Basaliom, das sie selbst nicht gesehen hatte. Es wurde operativ entfernt und  fertig. Keiner von beiden hat eine Wassertablette eingenommen. Dadurch, dass wir älter werden bekommen bis zu 10% aller Menschen ein Basaliom, 1 % ein Plattenpithelkarzinom der Haut. 

    Statistisch sieht das so aus: Ohne HCT bekommen von 100 Menschen 10 ein Basaliom und  einer ein Plattenepothelkarzinom. Wenn die dänische Studie genau so hinkommt, dann würde HCT das Risiko erhöhen, so dass statt zehn Personen 13 Menschen ein Basaliom bekommen und statt einer Person sieben Leute ein Plattenepithelkarzinom entwickeln.

    "Das sind schon recht hohe Zahlen!"

    "Ab 35 Jahren haben wir alle einen Anspruch auf ein Hautkrebsscreening alle zwei Jahre. Da werden schon kleine Befunde entdeckt. Kleine Stellen werden nur vereist, oder mit speziellen Cremes behandelt.  Der Hautarzt kann größere Befunde wegoperieren. Und du kannst ja auch etwas machen: Sonnenschutz hilft und ist wirklich für uns alle wichtig! Aber lass uns deine Medikamente umstellen."

    Welche Vorbeugungsmaßnahmen kann man ergreifen?

    • Sonnenschutz verwenden! Täglich einen breitbandigen Sonnenschutz mit hohem Lichtschutzfaktor (mindestens SPF 30, besser SPF 50), der sowohl vor UV-A als auch UV-B-Strahlung schützt. Ich verwende eine Tagescreme mit Sonnenschutz, auch im Winter!
    • Direkte Sonneneinstrahlung vermeiden, insbesondere zwischen 11 und 15 Uhr, wenn die UV-Strahlung am stärksten ist. (Schattenplätzen suchen und die Haut zusätzlich durch Kleidung schützen, ja auch Hüte und Sonnenbrillen schützen wunderbar).
    • Haut regelmäßig untersuchen: Überwache deine Haut regelmäßig auf Veränderungen wie neue Muttermale, Hautverfärbungen oder ungewöhnliche Flecken.
    • Vereinbare mindestens alle zwei Jahre dein Hautkrebsscreenings beim Dermatologen, egal, ob du Diuretika einnimmst oder nicht.
    • Vermeide Solarien!

    Patienten, die HCT einnehmen, sollten über das mögliche Risiko informiert werden und Maßnahmen zum Sonnenschutz ergreifen. Ärzte sollten das Risiko bei der Entscheidung für eine langfristige Behandlung mit HCT berücksichtigen. Bei Patienten, die bereits ein erhöhtes Risiko für Hautkrebs haben sollten eventuell andere Medikamente eingesetzt werden.


    "Die Wassertablette hat meine Blutdruck doch ganz prima gesenkt", sagte Claudia. "Und die krassen Ausreißer bei Stress sind auch nicht mehr so aufgetreten. Weißt du, dass Steffen eine neue Freundin hat? Eine junge Hautärztin, witzig oder? Gibt es nicht eine andere Wassertablette, die keine Hautsachen macht?"

    "Na dann ist dein Hautsreening ja schon gebongt! Es gibt zwei andere Medikamente: Das Chorltalidon und das Indapamid. Für beide gibt es keine gleich guten Studien, wie für HCT, die auf einen Zusammenhang mit Hautkrebs hinweisen. Trotzdem ist von beiden Substanzen bekannt, dass auch sie die Haut empfindlicher gegen Sonnenlicht machen können.  Es könnte also eine ähnlich erhöhtes Risiko geben. Deshalb sollten Menschen, die Chortalidon oder Indapamid einnehmen, auch auf Sonnenschutz achten und alle zwei Jahre zum Hautscreening gehen (wie wir alle).  Sonst könnte man noch auf das stärker Wasser-treibende Torasemid umstellen, das ist eine ganz andere Substanzgruppe, ein Schleifendiuretuikum." 


    Möglichst niedrige Dosen

    Bei HCT, Indapamid und Chortalidon sollten möglichst niedrige Dosen gewählt werden. Die niedrigste Standartdosis bei Chlortalidon ist täglich 12,5 mg. Bei Chlortalidon ist bei uns Frauen aber oft bei einer Einnahme von 12, 5 mg 3 x pro Woche (zum Beispiel montags, mittwochs, freitags) schon eine sehr gute blutdrucksenkende Wirkung zu erreichen, wegen der langen Halbwertszeit dieses Medikamentes. 

    Frauen, deren Blutdruck besonders gut auf Diuretika anspricht, reagieren oft auch besonders gut auf eine sehr salzarme Ernährung. Oft wird bei einer sehr salzarmen Ernährung (<2g Salz pro Tag) das Diuretikum zusätzlich gar nicht mehr gebraucht. 

    Dadurch, dass in der warmen Jahreszeit der Blutdruck oft etwas tiefer ist bei uns Frauen, kann man bei manchen Frauen im Sommer das Thiazid-Diuretikum zur Blutdrucktherapie pausieren.

    Claudia entschied sich nach einem Gespräch mit der Freundin ihres Sohnes weiterhin ein Diuretikum einzunehmen (Julia ist doch die junge Hautärztin). Claudia achtet jetzt auf eine salzarme Ernährung. Beruhigend fand sie auch, dass die europäische Gesellschaft für Kardiologie Diuretika nach wie vor als Erstlinien-Blutdruck-Medikamente empfiehlt ("Dann kann das nicht so furchtbar schlimm sein, das Elvis-Medikament!").  Statt dem HCT hatte ich Claudia Chlortalidon verordnet. Die Einnahme von Chlortalidon hält bei Claudia die Blutdruckwerte im Zielbereich. Nur mit ihrem ausdosierten Kombinationspräparat (aus Sartan und Calciumantagonist) waren diese guten Werte nicht zu erreichen gewesen. Claudia benutzt jetzt immer eine Tagescreme mit hohem Lichtschutzfaktor und geht zuverlässig zum Haut-Screening.


    Bluthochdruck ist nicht mehr "die Krankheit der anderen" 


    Irgendwann kommt der Punkt, an dem wir nicht mehr denken: "Bluthochdruck? Ich doch nicht!", sondern sagen: "Okay, der gehört jetzt zu mir."

    Die morgendliche Tablette? Wird einfach in die Teeroutine integriert, vielleicht mit einer kleinen Erinnerung auf dem Handy. Der Blutdruck hat vielleicht einen Platz auf unserer To-do-Liste, aber er bestimmt nicht, wer wir sind. Wir haben gelernt, mit ihm umzugehen – und beweisen jeden Tag aufs Neue, dass Gesundheit und Lebensfreude Hand in Hand gehen können.

    Mit einem bewussten Lebensstil, regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen und – wenn nötig – der richtigen Behandlung können wir nicht nur den Blutdruck in den Griff bekommen, sondern auch weiterhin kraftvoll durchs Leben gehen. Denn ganz gleich, ob es um die ersten Lachfalten, graue Strähnchen oder den ersten erhöhten Blutdruckwert geht – es ist nie zu spät, gut auf sich selbst aufzupassen.