1. An was sterben wir heute?
Sei froh, dass du nicht 1349 gelebt hast.
Gottes Strafe brach damals über die Stadt herein. So glaubte es Agnes jedenfalls. Wie viel lieber wäre sie eine tugendhafte Ehefrau und Mutter gewesen. Die Not und ihr verdammter Trotz waren Schuld, dass sie in die Hafentaverne Speisen und Bier servierte und ihre Zusatzleistungen verkaufte.
Manche behaupteten, der Teufel habe die kosmische Konstellation von Mars und Saturn genutzt. Ein Omen des Unheils. Andere behaupteten die Hebamme hätte die Brunnen vergiftet. Der Schneider glaubte, dass es Luftdämonen waren, die das Unheil verbreiteten. Doch auch das Kruzifix, dass er an seine Türe genagelt hatte, und all das Weihwasser konnten ihn nicht retten.
Vielleicht war es aber auch die Kogge aus Lübeck gewesen, die nicht nur Wolle und Gewürze, sondern auch die Pest in die Stadt brachte.
Agnes fegte an einem nebeligen Morgen das Kopfsteinpflaster vor der Taverne, als sie das rhythmische Knarren von Rudern hörte. Der Hafenmeister dirigierte das große Handelsschiff, das sich mühsam der hölzernen Kaimauer näherte.
Agnes Augen blieben an einer schnellen Bewegung hängen – eine Ratte, die auf dem Deck über einen Sack mit Getreide huschte. Ihr fettiger Schwanz verschwand in einem Haufen Seile. Ein Matrose sprang mit einem Tau an Land und befestigte es an einem Poller.
"Euer Schiff sieht aus wie ein fahrender Rattenstall! Bald fressen sie uns die Stadt leer!" murrte der Hafenmeister
"Mach dir nicht ins Hemd" sagte der Kapitän "Lass die Ladung löschen, dann sind wir wieder weg, bevor die Sonne untergeht."
In diesem Moment sah Agnes eine zweite Ratte, die über die Reling kletterte und auf die Kaimauer sprang.
Als Agnes und Else die Beulen in der Achsel und der Leiste bemerkten, war das Handelsschiff mit seinen dreißig Matrosen schon wieder ausgelaufen.
Die Glocken läuteten, als am Samstag im Getreidekontor ein dritter Hafenarbeiter mit hohem Fieber zusammenbrach. Schwarze Flecken hätten seine Haut wie Brandmale gezeichnet, erzählte man. "Der schwarze Tod", flüsterte die Menschen. Bald gab es nichts mehr zu flüstern – die Pest schrie ihre Anwesenheit laut und grausam durch die Straßen. Die Plage breitete sich wie ein Feuer durch die Viertel aus. Sie verbrannte mit hellen Flammen die Jungen, loderte nur kurz in den Körpern der Alten und fraß sich durch die gesamte Stadt. Der Tod war nicht wählerisch. Er nahm alle – reich oder arm, tugendhaft oder sündig.
Die Hafenstadt zählte nach 17 Pestwochen statt 6000 Einwohnern nur noch 3000 Überlebende.
An was sterben wir Menschen heute?
Rund 40% der Menschen sterben an den Folgen der Arterienverkalkung, wie Herzinfarkt und Schlaganfall. Einer der wichtigsten Risikofaktoren dafür ist Bluthochdruck.
Nicht die Pest, die wir längst mit Antibiotika bezwingen können, ist unser Feind, sondern ein Gegner, der ebenso heimtückisch, aber viel leiser agiert. Ein Drittel der Erwachsenen in Deutschland lebt mit hohen Blutdruckwerten, oft ohne es zu ahnen. Kein Fieber, keine Beulen, keine warnenden Zeichen – bis der stille Killer zuschlägt.
Doch anders als Agnes im Jahr 1349 haben wir eine Wahl. Wir können Vorsorge treffen, handeln, ehe es zu spät ist.