Die AL-Amloidose bei multiplem Myelom
Manche Erkrankungen zeigen sich mit allen möglichen Beschwerden, die man leicht anderen Ursachen zuschreibt – Erschöpfung, Wassereinlagerung, Atemnot. So war es auch bei Elisa, lebensfroh, aktiv, keine nennenswerte Krankengeschichte. Elisa war 60 Jahre alt, Pflegedienstleiterin in einem Seniorenheim, seit über 30 Jahren im Beruf. Und doch war es ihr Herz, das sich still und heimlich verändert hatte – durch eine seltene, aber ernste Erkrankung: Die AL-Amyloidose.
Frau M., 60 – "Ich dachte, ich sei einfach nicht mehr so belastbar…"
"Es ging schleichend los. Ich bin beim Spazierengehen öfter stehen geblieben, hab mich schlapp gefühlt. Ich habe mich meinem stressigen Job einfach nicht mehr gewachsen gefühlt. .
"Ich war immer für alle da – für meine Kolleginnen, für die Bewohner, für Angehörige, fürs Qualitätsmanagement. Ich hab den Laden irgendwie zusammengehalten"
Bis der Körper irgendwann nicht mehr mitspielte.
Erst war es nur ein bisschen Müdigkeit, dann das Treppensteigen, das schwerer fiel. Die Beine wurden dicker, das Herz klopfte seltsam, die Luft wurde knapp –Schließlich brach sie bei der Übergabe fast zusammen.
Ihr Hausarzt stellte eine Herzschwäche fest und überwies sie zum Kardiologen. Im Ultraschall zeigte sich eine auffallend verdickte Herzwand – ungewöhnlich, denn Frau M. hatte keinen Bluthochdruck. Das EKG-Ausschläge waren viel zu flach – ein Warnsignal. Der Kardiologe wurde hellhörig und veranlasste weitere Diagnostik, mit Verdacht auf eine Amyloidose.
Was ist AL-Amyloidose?
Die AL-Amyloidose ist eine systemische Eiweißspeicherkrankheit, bei der sich fehlerhaft gebildete Leichtketten-Proteine im Körper ablagern – sogenannte Amyloidfibrillen.
Diese stammen aus einem bestimmten Zelltyp im Knochenmark, den Plasmazellen, die eigentlich Antikörper produzieren. Wenn diese Zellen jedoch aus dem Ruder laufen, produzieren sie unstabile, überflüssige Leichtketten, die sich im Körper ablagern.
Diese Ablagerungen können viele Organe befallen – insbesondere:
Das Herz ist in 70% betroffen (führt zu diastolischer Herzinsuffizienz)
Nieren (Eiweißverlust über den Urin)
Leber, Magen-Darm-Trakt, Nerven und Zunge
Wichtig: Die AL-Amyloidose ist eine seltene, aber schwerwiegende Erkrankung, die schnell fortschreiten kann, wenn sie nicht erkannt und behandelt wird.
❤️ Was macht die Krankheit mit dem Herzen?
Wie bei anderen Amyloidosen lagern sich die Eiweißfibrillen im Herzmuskel ab. Der Muskel wird dadurch steif, das Herz kann sich nicht mehr richtig entspannen – obwohl die Pumpleistung oft lange normal bleibt.
Man spricht von einer restriktiven Kardiomyopathie.
Das führt zu:
Luftnot bei Belastung
Wasser in den Beinen
Müdigkeit, Schwindel, niedriger Blutdruck
Herzrhythmusstörungen (z. B. Vorhofflimmern oder AV-Block)
Bei Frau M. wurden diese Symptome fälschlich zuerst als normale "altersbedingte Herzschwäche" gedeutet – bis die genauere Diagnostik die Ursache entlarvte.
🔍 Wie wird AL-Amyloidose diagnostiziert?
Die Diagnostik ist oft detektivisch – mehrere Puzzleteile ergeben das Bild:
Typische Hinweise:
Verdickte Herzwand ohne Bluthochdruck
Leise EKG-Ausschläge (Niedervoltage)
Erhöhte Troponin- und NT-proBNP-Werte ohne Herzinfarkt
Eiweiß im Urin oder neurologische Symptome
Spezifische Tests:
Serum- und Urin-Elektrophorese mit Immunfixation
Freie Leichtketten im Blut (FLC-Test)
Knochenmarkbiopsie zur Klärung der Ursache
Herz-MRT oder Szintigrafie zur Darstellung der Ablagerungen
Herzbiopsie in unklaren Fällen
Frau M. erhielt nach einem Spezialtest die Diagnose: AL-Amyloidose mit kardialer Beteiligung.
Wie wird AL-Amyloidose behandelt?
Die AL-Amyloidose entsteht durch eine gestörte Eiweißproduktion im Knochenmark – und diese hat fast immer mit einer Erkrankung der sogenannten Plasmazellen zu tun. Plasmazellen sind spezialisierte weiße Blutkörperchen, die in unserem Knochenmark leben und normalerweise dafür da sind, Antikörper gegen Krankheitserreger zu produzieren.
Wenn diese Plasmazellen entarten, kann sich daraus eine Plasmazellerkrankung entwickeln – die bekannteste davon ist das Multiple Myelom.
Was ist das Multiple Myelom?
Das Multiple Myelom ist eine bösartige Erkrankung des Knochenmarks, bei der sich eine einzelne fehlerhafte Plasmazelle unkontrolliert vermehrt. Sie verdrängt gesunde Zellen und produziert große Mengen eines bestimmten Eiweißes – den sogenannten monoklonalen Immunglobulinen, auch "Paraprotein" genannt.
In etwa 10–15 % der Fälle produziert das Multiple Myelom nicht ganze Antikörper, sondern nur sogenannte Leichtketten – das sind die "halben" Bestandteile der Antikörper.
Diese Leichtketten zirkulieren im Blut und können sich bei bestimmten Patient:innen in krankhafter Form ablagern – insbesondere in Herz, Nieren, Leber oder Nerven.
Diese Form der Ablagerung nennt man: AL-Amyloidose.
Wie häufig entwickelt sich aus dem Myelom eine AL-Amyloidose?
Etwa 10–15 % aller Patient:innen mit Multiplem Myelom produzieren ausschließlich Leichtketten (sog. Leichtketten-Myelom).
Von diesen entwickeln 50–70 % im Verlauf eine AL-Amyloidose, wenn die Leichtketten eine amyloidbildende Struktur aufweisen.
Das bedeutet: Ein erheblicher Anteil der AL-Amyloidosen ist direkt durch ein – oft noch unentdecktes – Myelom bedingt.
Wie erkennt man, ob ein Myelom hinter der AL-Amyloidose steckt?
Die Abklärung im Labor ist entscheidend:
Serumelektrophorese → zeigt monoklonale Eiweiße
Freie Leichtketten im Blut (FLC-Test) → stark erhöht bei Leichtketten-Myelom
Knochenmarkpunktion → zeigt erhöhte Zahl von Plasmazellen
Manchmal liegt kein vollständiges Myelom vor, sondern eine Vorstufe, die man als:
MGUS (monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz)
oder smouldering myeloma (schwelendes Myelom) bezeichnet
Diese können ebenfalls Leichtketten bilden – aber (noch) ohne typische Knochenveränderungen oder Blutbildveränderungen wie beim "vollen" Myelom.
Warum ist das so wichtig?
Die Behandlung der AL-Amyloidose zielt direkt auf die krankhaften Plasmazellen ab – denn wenn keine Leichtketten mehr produziert werden, können auch keine neuen Amyloid-Ablagerungen entstehen.
Deshalb ist die Therapie häufig identisch oder ähnlich wie beim Multiplen Myelom – mit Medikamenten wie:
Bortezomib
Cyclophosphamid
Dexamethason
und modernen Antikörpern wie Daratumumab
Fazit:
Das Multiple Myelom – oder eine verwandte Plasmazellerkrankung – ist die Wurzel der AL-Amyloidose.
Vor allem beim Leichtketten-Myelom kommt es bei bis zu 70 % der Betroffenen zu Ablagerungen von Eiweiß im Gewebe. Diese AL-Amyloidose kann das Herz, die Nieren oder das Nervensystem schwer schädigen, wenn sie nicht früh erkannt und behandelt wird.
Darum ist es so wichtig, bei ungeklärter Herzschwäche oder Eiweiß im Urin auch an eine Plasmazellerkrankung zu denken – und bei bekannten Myelom-Patient:innen auf Symptome einer Amyloidose zu achten.
Die Therapie zielt darauf ab, die Produktion der fehlerhaften Leichtketten zu stoppen.
Dazu werden Medikamente eingesetzt, wie sie auch in der Behandlung des Multiplen Myeloms verwendet werden:
Bortezomib, Cyclophosphamid, Dexamethason
Neue Medikamente wie Daratumumab
In ausgewählten Fällen: Stammzelltransplantation
Parallel erfolgt die symptomatische Behandlung der Herzinsuffizienz – allerdings vorsichtig, da klassische Medikamente wie ACE-Hemmer oder Betablocker oft schlecht vertragen werden.
Warum ist die frühe Diagnose so wichtig?
Die AL-Amyloidose kann schnell lebensbedrohlich werden – vor allem bei starker Herzbeteiligung.
Unbehandelt beträgt die mittlere Überlebenszeit nur 6–12 Monate.
Mit moderner Therapie kann die Lebenserwartung und Lebensqualität deutlich verbessert werden – besonders, wenn früh erkannt.
Häufigkeit – wirklich so selten?
AL-Amyloidose betrifft etwa 8–10 pro 1.000.000 Menschen pro Jahr
Frauen und Männer gleichermaßen betroffen
In Deutschland schätzt man etwa 600–1.000 neue Fälle jährlich
Die Erkrankung ist unterdiagnostiziert, weil sie viele "Gesichter" hat
Was kann Frau M. tun?
Heute, ein halbes Jahr nach der Diagnose, sagt Frau M.:
"Ich hab gelernt, auf meinen Körper zu hören. Ich nehm meine Medikamente, geh zur Onko-Kardiologie, und ich bin nicht mehr so erschöpft wie vorher. Ich weiß: Ich hab keine einfache Krankheit – aber ich hab ein Team um mich rum, das sich auskennt."
Was sie – und andere Betroffene – tun können:
Engmaschige Betreuung durch Kardiologie und Hämatologie
Therapie zuverlässig einnehmen
Frühzeitig bei neuen Symptomen melden
Austausch mit anderen Betroffenen (z. B. über Selbsthilfegruppen)
Leben mit der AL-Amyloidose
Die AL-Amyloidose ist eine ernste, aber heute behandelbare Erkrankung, wenn sie früh erkannt wird. Sie versteckt sich oft hinter Symptomen wie Luftnot, Herzschwäche oder Nierenschäden – deshalb ist es wichtig, bei unklaren Befunden genau hinzusehen.
Frau M. weiß, dass ihre Erkrankung sie begleiten wird. Die Therapie hat angeschlagen, die Werte haben sich stabilisiert – aber sie ist auch Realistin.
"Meine Ärztin hat mir ehrlich gesagt: Frau M., mit der Therapie gewinnen Sie einige gute Jahre. An ihrer Erkrankung wird geforscht, vielleicht kommen in den nächsten Jahren neue Medikamente auf den Markt.
Und wissen Sie was? Ich habe beschlossen: Dann mache ich aus diesen Jahren mein kleines Leben im Großformat. Ich trinke morgens meinen Kaffee mit offenem Fenster, ich gehe langsam spazieren und rieche den Frühling, ich höre den singenden Vögeln zu. Ich streite nicht mehr über Kleinigkeiten. Ich rufe Menschen an, die mir wichtig sind.
Ich war immer Mutter, Ehefrau, Kollegin – aber noch nie einfach nur ich. Ich hab mir eine kleine Pension auf Hiddensee gesucht. Eine Woche lang bin ich morgens mit dem ersten Licht barfuß durch den Sand gelaufen. Kein Zeitdruck. Kein Handy. Nur ich und das Meer.
Ich lese jetzt einmal pro Woche Grundschulkindern vor. Im Leseclub der Stadtbücherei. Viele von ihnen sprechen zu Hause kaum Deutsch. Ich bringe Bücher mit, wir lachen, wir reden über wilde Tiere, Zauberer und manchmal auch über Angst.
Ich kann vielleicht kein ganzes Leben mehr neu anfangen – aber ich kann helfen, dass ein paar junge anfangen zu träumen."
Ich bin nicht geheilt – aber ich bin da. Und für mich war dieser Schock dieser Erkrankung auch ein Geschenk. Ich lasse mich nicht mehr stressen, ich genieße die vielen kleinen Augenblicke, wie frische Erdbeeren mit Joghurt auf dem Balkon. Ich kann das Leben wieder wirklich spüren.