Lipoprotein (a): Das vergessene Cholesterin
Lipoprotein(a): Das "vergessene" Cholesterin – Was du wissen musst
Lipoprotein(a), kurz Lp(a), ist ein spezieller Bestandteil des Blutes, der eine Rolle bei der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen spielt.
Bei manchen Menschen stellt die Leber das Lp(a) in großer Menge her. Wieviel Lp(a) dein Körper herstellt ist genetisch bedingt. Wenn dein Lp(a) deutlich erhöht ist, hast du theoretisch ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt. (Keine Angst! Vorsorgeuntersuchungen, gesunder Lebensstil und bei Bedarf Medikamente können dieses Risiko senken, und du kannst trotzdem gesund alt werden.)
Obwohl es weniger bekannt ist als das "schlechte" LDL-Cholesterin, stellt ein erhöhter Lp(a)-Wert ein eigener Risikofaktor für Herzinfarkt, Schlaganfall und andere Gefäßerkrankungen dar. In diesem Artikel erfährst du, was Lp(a) ist, ab wann die Werte kritisch werden, was du beachten solltest und welche Therapien in der Entwicklung sind.

1. Was ist Lp(a)?
Lp(a) ist eine Variante von LDL-Cholesterin. Es besteht aus:
- LDL-Partikel: Trägt Cholesterin durch den Blutkreislauf.
- Apo(a): Ein spezielles Protein, das an das LDL-Partikel gebunden ist und Lp(a) einzigartig macht.
Warum ist Lp(a) problematisch?
- Es fördert die Bildung von Plaques in den Arterien (Atherosklerose).
- Es kann die Blutgerinnung beeinflussen und das Risiko für Blutgerinnsel erhöhen.
2. Ab wann sind Lp(a)-Werte erhöht?
Lp(a)-Werte werden in mg/dl oder nmol/l gemessen. 20% der Bevölkerung haben ein leicht erhöhtes Lp(a)-Cholesterin.
- Ab 30 mg/dl (75 nmol/l): Werte gelten als leicht erhöht und können das Risiko leicht erhöhen.
- Ab 50 mg/dl (125 nmol/l): Etwas erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Kritische Werte sind:
- Ab 180mg/dl (430 nnmol/l): Deutlich erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Hier sind ein gesunder Lebensstil und regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen und ggf. auch Medikamente sinnvoll!
Besonderheit:
- Lp(a)-Werte sind genetisch festgelegt und bleiben das Leben lang weitgehend konstant.
3. Wie viele Menschen haben erhöhtes Lp(a)?
Etwa 20–30% der Weltbevölkerung haben einen erhöhten Lp(a)-Spiegel. Besonders kritisch ist dies für:
- Menschen mit einer familiären Hypercholesterinämie (die außerdem ein deutlich erhöhtes LDL aufweisen).
- Patienten mit einer Vorgeschichte von Gefäßerkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall.
4. Was sollten Menschen mit erhöhtem Lp(a) beachten?
Lebensstil und Prävention:
- Rauchstopp: Rauchen verstärkt die atherosklerotischen Effekte von Lp(a).
- Ernährung: Eine cholesterinarme und entzündungshemmende Ernährung (viel Gemüse, Omega-3-Fettsäuren, wenig gesättigte Fette) unterstützt die Gefäßgesundheit.
- Bewegung: Regelmäßige körperliche Aktivität verbessert den Blutfluss und die Herz-Kreislauf-Gesundheit.
- Gewichtsmanagement: Übergewicht kann zusätzliche Risikofaktoren wie hohen Blutdruck und Diabetes verschärfen.
Regelmäßige Kontrolluntersuchungen:
- Lasse bei familiärer Belastung frühzeitig ein Screening durchführen.
5. Behandlung bei erhöhtem Lp(a) und Gefäßerkrankungen
Es gibt derzeit keine Medikamente, die gezielt Lp(a) senken und zugelassen sind. Die Behandlung konzentriert sich daher auf das Management anderer Risikofaktoren:
Medikamentöse Ansätze:
- LDL-Cholesterin-Senkung:
Statine und Ezetimib helfen, das LDL-Cholesterin zu senken, wodurch das Gesamt-Risiko reduziert wird.
PCSK9-Inhibitoren (z. B. Evolocumab, Alirocumab) senken sowohl LDL als auch Lp(a) leicht.
Das ist eine Art Blutreinigung, die Lp(a) und LDL-Cholesterin mechanisch aus dem Blut entfernt. Dabei wird einmal pro Woche das Blut über eine Säule geleitet, die das Cholesterin und das Lp(a) aus dem Blut entfernt.
Dieses Verfahren wird nur bei Patienten mit extrem hohen Lp(a)-Werten und schwerer Gefäßerkrankung eingesetzt, die auf eine andere Therapie nicht ausreichend ansprechen. Für diese Menschen ist es allerdings ein sehr zuverlässiges Verfahren. Durch die Lipidapherese kann das Fortschreiten der Gefäßerkrankungen sehr gut aufgehalten werden.
6. Zukunft: Medikamente zur gezielten Senkung von Lp(a)
Die Entwicklung neuer Therapien schreitet voran, darunter RNA-basierte Therapien, die gezielt die Produktion von Lp(a) in der Leber hemmen.
Diese Medikamente könnten in den nächsten Jahren verfügbar werden und die Behandlungsmöglichkeiten revolutionieren.
Fazit: Leben mit erhöhtem Lp(a)
Erhöhtes Lp(a) ist ein wichtiger, oft übersehener Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Mit einem gesunden Lebensstil, regelmäßigen Kontrollen und modernen Therapien kannst du dein Risiko jedoch deutlich senken.
Die Zukunft sieht vielversprechend aus: Zielgerichtete Medikamente wie RNA-basierte Therapien könnten bald eine wirksame Behandlung für Menschen mit erhöhtem Lp(a) bieten. Bis dahin ist eine enge Zusammenarbeit mit deinem Arzt der beste Weg, um dein Herz zu schützen. Dein Herz verdient die beste Pflege – jetzt und in der Zukunft! ❤️
Eine Geschichte über eine Familie, in der erhöhtes Lp(a) zu Herzinfarkten führte
"Steinherz"
Manchmal kommt nicht ein einzelner Mensch in meine Sprechstunde – sondern ein ganzes Jahrhundert Geschichte. Und manchmal höre ich Dinge, die man früher nicht erklären konnte, aber heute messen kann.
So war das mit meiner Freundin Susanne.
Es begann mit einem leichten Ziehen in der Brust. Und endete mit einem alten Fluch, der endlich seinen wahren Namen bekam.
Susannes Anruf kam abends. Ich saß gerade mit einem Glas Tee in der Küche, als das Handy summte. Ihre Stimme war ruhig – fast zu ruhig.
"Kannst du mich morgen dazwischenschieben?"
"Wieso brauchst du einen Kardiologen?" Ich schob meinen Tee zur Seite. Susanne war ein Musterbeispiel für gesunden Lebensstil. Schlank, sportlich, lebenslustig.
"Ich hab… ein Ziehen in der Brust. Mal rechts, mal mittig. Krampfartig."
"Seit wann?"
"Zwei Wochen. Ich hab's ignoriert. Aber jetzt... Ich brauch deine Augen drauf."
"Natürlich. Komm vor meiner Sprechstunde, um halb acht gleich."
Sie saß vor mir in der Praxis, Schatten unter den Augen.
"Hast du schon mal von vererbtem Trauma gehört?" fragte sie, kaum dass ich den Blutdruck gemessen hatte.
Ich hob eine Braue. "Epigenetik? Ja, da gibt's Forschung."
"Ich meine… ob du daran glaubst."
Ich schwieg.
"An einen Fluch glaubst du sicher nicht. Aber in meiner Familie sterben die Leute am Herzen", fuhr sie fort. "Mein Großvater mit fünfzig – drei Wochen nach meiner Geburt. Es gibt ein einziges kleines Schwarz-Weiß-Bild, auf dem er mich im Arm hält. Ein kräftiger, stattlicher Mann. Meine Mutter starb mit achtundsechzig. Sie hatte sich noch auf so viele Reisen gefreut. Mein Onkel: neunundfünfzig. Und alle gleich: Brustschmerz, Herzinfarkt, tot. Kein Vorzeichen. Ich… habe Angst, ich bin die Nächste."
Sie schlug die Beine übereinander, als müsse sie sich zusammenhalten.
Ich legte mein Stethoskop zur Seite.
"Dieser Fluch… wie meinst du das?"
Susanne blickte aus dem Fenster.
"Meine Großmutter nannte es das Steinherz. Sie hat sich das Wort ausgedacht – kurz nachdem mein Großvater gestorben war. Sie war überzeugt, dass bei allen seinen Nachfahren das Herz hart schlägt. Als wäre es aus Stein."
Ich sagte nichts. Ich war überrascht. Susanne war sonst immer nüchtern, fast analytisch – fast schon "statistiker-sachlich", wie sie es selbst nannte.
"Ich war vielleicht vierzehn, als sie mir zum ersten Mal davon erzählte.
'In unserer Familie tragen die Männer und Frauen etwas in sich, das du nicht sehen kannst. Aber es ist da. Es wartet.'
Ich dachte, sie meint irgendeine Krankheit. Aber sie schüttelte den Kopf.
'Dein Großvater hat ihn mitgebracht. Aus dem Krieg. Er hat mir erst viele Jahre später davon erzählt. Kurz bevor er starb.'"
Sie hielt inne, als würde sie die Szene selbst noch sehen.
"Es war Winter, draußen lag Schnee. Er erzählte ihr, was er in Russland erlebt hatte. Stalingrad. Eine Hölle, sagte er. Verwundet war er, und wollte einem Kameraden einen Mantel besorgen. Da lag ein russischer Soldat im Schnee, reglos, wie tot. Mein Großvater beugte sich über ihn, wollte ihm den Mantel ausziehen. Da griff die Hand des Soldaten plötzlich nach seinem Handgelenk.
Und dann sagte er etwas – nicht laut, aber so deutlich, dass mein Großvater ihn verstand. Obwohl er kaum Russisch sprach.
'Du wirst leben… aber dein Herz wird erfrieren.'
Und dann starb der Russe."
Ich sah sie an. Susanne war ganz ruhig geworden.
"Mein Großvater war nach dem Krieg nie wieder lebensfroh. Ein stiller, tüchtiger Mann – aber nie mehr warm. Meine Großmutter sagte: Dieses Erbe fließt auch in deinen Adern. Sie wusste, dass ihre Kinder etwas in sich trugen, das andere nicht hatten."
Sie sah mich an.
"Was, wenn das nicht nur eine Metapher war?" flüsterte sie.
Ich atmete tief durch.
"Dann finden wir den Stein. Und wenn wir ihn benennen können – dann können wir ihn vielleicht endlich zerschlagen."
Ich nahm Blut ab. EKG, Belastung, Echo – alles unauffällig. Das Herz arbeitete kräftig, rhythmisch. Keine Ischämie, keine Rhythmusstörung. Nichts, was das Ziehen erklären konnte.
Ich setzte erneut den Ultraschallkopf an – diesmal am Hals.
Und da war er.
Ein dunkler Halbmond in der Arterie.
Deutlich sichtbar.
Ein Plaque, kaum 30 Prozent der Gefäßweite einengend – aber bei ihr?
Ich zeigte es ihr.
"Das ist nicht dramatisch – noch nicht. Aber es gehört nicht hierher."
Sie starrte auf den Monitor.
"Ist das der Stein?"
Ihre Stimme war heiser.
Ich nickte.
"LDL normal. Blutdruck ebenfalls. Du lebst vorbildlich. Das passt nicht."
Ich bestellte einen zusätzlichen Laborwert. Einen selten angeforderten: Lipoprotein(a).
Eine Woche später. Ich war zu Fuß auf dem Heimweg. Ein langer Tag voller Gespräche, Sorgen, Diagnosen. Die Abendluft war kühl, über den Häusern stand eine schmale Mondsichel am Himmel.
Susannes Befunde waren gekommen.
Sie nahm sofort ab.
"Ich habe deinen Befund."
Stille am anderen Ende.
"Ich höre."
"Es ist dein Lipoprotein(a). Stark erhöht."
Sie atmete kaum hörbar ein.
Dann ganz leise:
"Jetzt hat der Fluch einen Namen."
Ich erinnerte mich an das Foto, das sie mir gezeigt hatte:
Ein Mann mit ernsten Augen, ein Neugeborenes im Arm. Ihr Großvater.
Drei Wochen später tot.
"Wie geht es jetzt weiter?" fragte sie.
Ich lächelte, auch wenn sie es nicht sehen konnte.
"Jetzt ist es kein Fluch mehr. Jetzt ist es ein Risikofaktor. Und den können wir angreifen. Wir sind nicht mehr im Schnee von Stalingrad. Wir haben Medikamente. Wissen. Zeit.
Komm morgen um halb acht wieder. Wir besprechen alles in Ruhe. Es gibt Tabletten. Und wir machen regelmäßige Kontrollen. Damit wirst du noch deine Urenkel kennenlernen."
Ein leises Lachen am anderen Ende.
"Danke", flüsterte sie. "Danke, dass du mich ernst genommen hast."
"Jetzt ist es kein Fluch mehr. Jetzt ist es ein Risikofaktor. Und den kann man angreifen. Wir sind nicht mehr im Schnee von Stalingrad. Wir haben Medikamente. Komm Morgen um halb acht noch mal vorbei, dann besprechen wir das in Ruhe und beginnen auch mit der Therapie. Du wirst Tabletten nehmen müssen und regelmäßige Kontrollen sind auch sinnvoll. Aber damit wirst du noch deine Urenkelkinder kennenlernen schätze ich."
Ein leises Lachen am anderen Ende.
"Danke", flüsterte sie. "Danke, dass du mich ernst genommen hast."
Manche Erbstücke tragen wir nicht an Ketten um den Hals, sondern tief in unseren Adern. Sie flüstern von alten Geschichten. Es sind keine Flüche. Es sind Warnungen.
Wenn es in deiner Familie – bei Eltern, Großeltern, Geschwistern – früh zu Herzinfarkten oder Schlaganfällen kam, dann sprich mit deinem Hausarzt, ob es für dich sinnvoll sein könnte dich auf Lp(a) testen zu lassen.
"Das Erbe der Überlebenden", mein Brief an Susanne
Liebe Susanne,
ich habe bemerkt, wie verunsichert du dich gefühlt hast, als wir über dein erhöhtes Lp(a) gesprochen haben. Ich verstehe, dass man dazu neigt ein genetisches Risiko als dunkles Los zu empfinden. Speziell bei deiner Familiengeschichte.
Doch in Wahrheit hat alles zwei Seiten. Vielleicht hat dieses Gen deinen Vorfahren sogar geholfen zu überleben.
Wissenschaftler vermuten heute, dass Lp(a) einst Vorteile hatte: Es fördert die Blutstillung. Vielleicht hat es den Frauen in deiner Familie nach schweren Geburten das Leben gerettet, weil sie nicht verblutet sind. Vielleicht haben deine Ahnen Kriegswunden überlebt, an denen andere gestorben wären.
Und es könnte sogar eine Rolle bei der Abwehr von Infektionen gespielt haben: Lp(a) bindet oxidierte Lipide, kann an entzündliche Stellen andocken – vielleicht sogar bestimmte Bakterientoxine neutralisieren.
Möglicherweise hat dieses Gen deinen Vorfahren die Pestjahre überleben lassen, die 30-40 Prozent der Bevölkerung in den Städten dahingerafft haben.
Vielleicht, Susanne, gehörten deine Vorfahren zu jenen, die Hungersnöte, die kalten Winter, das Kindbettfieber überstanden haben.
Vergiss nicht: Etwa 20–25 % der Weltbevölkerung haben erhöhte Werte von Lipoprotein(a) (also deutlich über dem Normalbereich von unter 75 nmol/l). Allerdings sind es nur 1–2 % der Menschen, die so hohe Werte haben, wie du (über 430 nmol/l). Ja, diese Menschen tragen ein 2- bis 3-fach erhöhtes Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle – oft unabhängig von klassischen Risikofaktoren wie LDL-Cholesterin, Rauchen oder Bluthochdruck. Deshalb musst du dich zu Medikamenten beraten lassen und verschieden Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen.
Lp(a) ist ein evolutionär junges Molekül – es kommt nur beim Menschen und bei Menschenaffen vor. Kein anderes Tier hat es. Vermutlich entstand es durch eine zufällige Genduplikation. Es gibt auch einige wenig Menschen, die genetisch bedingt kein Lp(a) produzieren, daher weiß man, dass wir Menschen auch ohne Lp(a) leben können.
Warum hat die Natur dieses Molekül nicht wieder verschwinden lassen?
Eben weil es vermutlich einen Vorteil im Überleben geboten hat.
Die Zeit, in der Lp(a) ein "unsichtbarer Fluch" war, geht definitv zu Ende. Wir können schon mit den bisherigen Medikamenten und Maßnahmen dem erhöhten Herzinfarkt und Schlaganfallrisiko gut entgegenwirken.
Aber du lebst in einer spannenden Zeit. In den nächsten Jahren werden Medikamente erhältlich sein, die gezielt auch das Lp(a) senken können.
RNA-basierte Medikamente – sogenannte Antisense-Oligonukleotide oder siRNA-Therapien – zeigen in klinischen Studien, dass sie Lp(a) um bis zu 90 % senken können. Die ersten Phase-III-Ergebnisse sind vielversprechend – eine Zulassung könnte in den nächsten Jahren folgen.
Und wer weiß: Vielleicht wird das Lp(a) deinen Kindern oder Enkelkindern irgendwann auch einmal wieder das Leben retten.