Was musst du beachten, wenn du einen Blutverdünner wegen Vorhofflimmern einnimmst?
- Warum kann Vorhofflimmern zu Schlaganfällen führen?
- Warum ist eine Antikoagulation notwendig?
- Was Sie im Alltag beachten sollten, wenn Sie einen Blutverdünner einnehmen
- Was tun bei Blutungen und Notfällen?
1. Warum kann Vorhofflimmern zu Schlaganfällen führen?
Sehr geehrte Patientin, sehr geehrter Patient,
bei Ihnen wurde eine Herzrhythmusstörung, das Vorhofflimmern, festgestellt. Bei dieser Erkrankung pumpt der Vorhof nicht kräftig, sondern flimmert. Das Blut fließt dann langsamer im Vorhof. Damit besteht die Gefahr, dass sich Blutgerinnsel im Vorhof bilden können. Diese Blutgerinnsel bilden sich meist in einer Ausstülpung des linken Vorhofes. Dort fließt das Blut besonders langsam. Diese Ausstülpung wird auch Herzohr genannt.
Wenn das Blutgerinnsel sich löst, wird es mit dem Blutstrom weggespült. Die linke Herzkammer pumpt das Gerinnsel in eine Schlagader. Die Schlagadern werden in ihrem Verlauf immer kleiner und irgendwann bleibt das Gerinnsel stecken. Es verstopft die Arterie. Hinter dem Gerinnsel fließt kein Blut mehr in der Arterie.
Man spricht von einer Embolie, wenn ein Gerinnsel in andere Organe verschleppt wird. Besonders oft landen die Blutgerinnsel aus dem Vorhof im Gehirn. Die Blutklümpchen können nur Stecknadelkopf-groß sein. Aber im Gehirn versperren sie trotzdem den Blutfluss zu wichtigen Gehirnregionen. Die häufigste und schwerwiegendste Komplikation hierbei ist ein Schlaganfall, der schwere gesundheitliche Folgen oder sogar einen tödlichen Verlauf haben kann.
2. Warum ist eine Antikoagulation notwendig?
Das Schlaganfallrisiko liegt für Menschen mit Vorhofflimmern bei 0,2 bis 14,4% pro Jahr.
Ihr persönliches statistisches Risiko hängt von ihrem Alter und zusätzlichen Erkrankungen ab.
Ärzte verwenden den CHA2DS2-VASc-Score um das individuelle Risiko zu errechnen.
Möchten Sie selbst einmal ihr statistisches Risiko berechnen?
Hier geht es zum CHA2DS2-VASc-Score.
In der typischen Risikogruppe bei Menschen über 65 Jahren mit Bluthochdruck kann man vereinfacht sagen:
Von 100 Menschen, die Vorhofflimmern haben, erleiden in einem Jahr ungefähr fünf einen Schlaganfall. 95 Menschen bleiben gesund. Da dieser Schlaganfall einen aber von einem Tag zum nächsten zu einem Pflegefall machen kann, ist es wichtig sich zu schützen.
Wer möchte mit einer Chance von 5% leben, in kommenden Jahr einen Schlaganfall zu erleiden?
Moderne Blutverdünner können durch Embolien ausgelöste Schlaganfälle verhindern (Ungefähr 20% aller Schlaganfälle entstehen durch Embolien.)
Wichtig zu wissen: Schlaganfälle, die durch Arterienverkalkung bedingt sind, werden anders verhindert.
Und was ist mit Nebenwirkungen?
Ja, jede Tablette hat auch Nebenwirkungen. Mit dem Blutverdünner dauert es doppelt so lange bis das Blut gerinnt. Das nervt, wenn man sich an einer Rose piekst.
Insgesamt werden diese Blutverdünner aber wirklich gut vertragen. Schwere Blutungen sind selten, jedenfalls seltener als das Schlaganfallrisiko.
Viele Menschen möchten nicht dauerhaft eine blutverdünnende Therapie einnehmen. Sie haben Angst vor Verletzungen und Blutungen. Das verstehe ich. Meine Mutter, die Vorhofflimmern hatte, wollte den Blutverdünner auch unbedingt wieder absetzten (wegen der pieksigen Rosen). Aber statistisch ist es eindeutig!
"Ich möchte, dass du den Blutverdünner einnimmst!", habe ich zu meiner Mutter gesagt.
"Es ist gefährlicher den Blutverdünner nicht einzunehmen!"
Risikoabschätzung
Bevor man einen Blutverdünner beginnt, schätzt man das Schlaganfall-Risiko ab. Aktuell wird dafür der CHADS-vasc-Score verwendet. Er benutzt zusätzliche Risikofaktoren und Erkrankungen (Alter, Herzschwäche, Arterienverkalkung, Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Geschlecht) um das Schlaganfallrisiko abzuschätzen. Bei einem geringen Risiko wird kein Blutverdünner begonnen. Der Arzt verschreibt den Blutverdünner nur, wenn er sicher ist, dass das Blutungsrisiko geringer als das Schlaganfallrisiko ist. Die meisten Blutungen sind auch trotz dem Blutverdünner gut zu behandeln. (Darüber unten mehr).
Internationale und nationale Leitlinien empfehlen bei Vorhofflimmern und einem Chadsvasc-Score ab 2 eine dauerhafte Hemmung der Blutgerinnung (Antikoagulation), um das Risiko der Bildung von Gerinnseln zu senken. Damit soll das Risiko für Komplikationen wie Schlaganfälle deutlich reduziert werden.
Patienten mit hohem Risiko für Blutgerinnsel haben oft einen erheblichen Vorteil durch eine blutverdünnende Behandlung, da das Risiko einer Embolie stärker ins Gewicht fällt als das Risiko von Blutungskomplikationen.
3. Was Sie im Alltag beachten sollten, wenn Sie einen Blutverdünner einnehmen
Wenn Sie einen Blutverdünner einnehmen, gibt es einige wichtige Punkte, die Sie beachten sollten, um das Risiko von Blutungen zu minimieren.
Regelmäßige Kontrollen bei ihrem Arzt
Wer einen Blutverdünner einnimmt, sollte in regelmäßigem Kontakt mit seinem Arzt bleiben. Die modernen Blutverdünner werden über die Niere abgebaut. Deshalb sollte alle 6 Monate die Nierenwerte bestimmt werden. Bei einer eingeschränktem Nierenfunktion werden die Blutverdünner in einer reduzierten Dosis verschrieben.
Die Empfehlung, wann die Dosis reduziert wird, ist unterschiedlich für alle vier modernen Blutverdünner, die bei Vorhofflimmern eingesetzt werden.
Hier findest du mehr zu Medikamenten die bei Vorhofflimmern eingesetzt werden.
Antikoagulationsausweis immer bei sich tragen
Tragen Sie stets einen Antikoagulationsausweis bei sich. Dieser Ausweis enthält wichtige Informationen zu Ihrer Medikation und hilft in Notfällen, eine sichere und angemessene Behandlung zu gewährleisten.
Ärzte informieren
Informieren Sie jeden Arzt, der Sie behandelt, dass Sie einen Blutverdünner einnehmen. Zeigen Sie Ihren Antikoagulationsausweis.
Das gilt auch für Zahnarztbesuche: Besprechen Sie mit Ihrem Zahnarzt, dass Sie einen Blutverdünner einnehmen. Bei den meisten Zahnbehandlungen reicht bei Bedarf eine örtliche Blutstillung aus. Vor invasiven Eingriffen wie einer Zahnextraktion oder Parodontitis-Behandlung sollte jedoch mit dem Arzt geklärt werden, ob am Behandlungstag der Blutverdünner genommen werden soll.
Bei größeren Eingriffen, wie Kieferoperationen, wird der Blutverdünner häufig pausiert. Ihr Zahnarzt wird Sie dazu beraten.
Notfälle
Informieren Sie in Notfällen immer alle behandelnden Personen, dass Sie einen Blutverdünner einnehmen.Spritzen
Spritzen in die Muskulatur oder in Gelenke sollten vermieden werden, da sie das Risiko innerer Blutungen erhöhen können. Blutentnahmen aus der Vene sind dagegen unproblematisch.
Schmerz- und Fiebermedikamente
Sprechen Sie mit ihrem Hausarzt ab, welche Medikamente Sie bei Fieber und Schmerzen einnehmen können. Nicht alle Medikamente vertragen sich mit dem Blutverdünner.
Oft wird Paracetamol empfohlen, da es die Blutgerinnung nicht beeinflusst. Beachten Sie die Einnahmeempfehlung ihres Arztes und überschreiten Sie die empfohlene Maximaldosis nicht!
Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Diclofenac sollten vermieden werden, da sie das Blutungsrisiko erhöhen. Bei stärkeren Schmerzen lassen Sie sich von Ihrem Arzt oder Apotheker beraten.
Medikamentenwechselwirkungen
Vorsicht bei Nahrungsergänzungsmitteln
So Vermeidung Sie Verletzungen im Alltag
Sport und Hobbys
Auch wenn kleine, oberflächliche Verletzungen in der Regel unproblematisch sind, sollten Sie Tätigkeiten vermeiden, die ein hohes Verletzungsrisiko mit sich bringen.
Vermeiden Sie Sportarten mit hohem Verletzungsrisiko wie Fußball, Kampfsport, Klettern, Basketball, Rugby, Boxen, Skifahren, Snowboarden, Reiten oder Mountainbiken.
Extreme Aktivitäten wie Fallschirmspringen oder Bungee-Jumping sind nicht ratsam.
Vorsicht bei körperlich fordernden Tätigkeiten: Tätigkeiten, bei denen ein Sturz oder eine schwere Verletzung möglich ist, sollten möglichst vermieden werden.
Dazu zählen z. B. Klettern ohne Sicherheitsausrüstung, schweres Heben und Tragen sowie Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten.
Scharfe Gegenstände und Maschinen:
Arbeiten mit scharfen Werkzeugen oder Maschinen wie Sägen, Schleifen und Bohren sollten mit Vorsicht oder unter besonderen Sicherheitsmaßnahmen durchgeführt werden.
Schutzhandschuhe und andere Schutzkleidung können das Risiko verringern.
Helmpflicht beim Radfahren: Tragen Sie einen Helm beim Fahrradfahren, um Kopfverletzungen vorzubeugen.
4. Was tun bei Blutungen und Notfällen?
Kleine Wunden
Nasenbluten
Wenn Sie Nasenbluten haben: Setzen Sie sich aufrecht hin und neigen Sie den Kopf leicht nach vorne, damit kein Blut in den Rachen fließt. Drücken Sie sanft die Nasenflügel mit Daumen und Zeigefinger zusammen und halten Sie dies für einige Minuten, um die Blutung zu stoppen. Atmen Sie ruhig durch den Mund aus und ein.
Bringen Sie selbst zunächst lieber keine Taschentücher oder ähnliches in die Nase ein. Da die Blutung beim Entfernen wieder beginnen kann.
Wenn die Blutung nicht aufhört, rufen sie den Rettungsdienst und sagen Sie, dass sie starkes Nasenbluten haben und Blutverdünner einnehmen. Der Rettungsdienst wird die Blutung stoppen, in dem er spezielles Verbandsmaterial in die Nase einbringt. Durch eine Verödungstherapie der Blutungsquelle kann dann in der Notaufnahme oder bei ihrem Hals-Nasen-Ohrenarzt die Nasenschleimhaut so behandelt werden, dass erneutes Nasenbluten unwahrscheinlicher wird.
Blutende Hämorrhoiden
Wir alle haben ein Venengeflecht am After (den Hämorrhoidalplexus). Das Venengeflecht ist zuständig für die Feinabdichtung des Analkanals. Es sorgt dafür, dass auch in entspanntem Zustand da unten alles dicht bleibt. Durch den Hämorrhoidalplexus wird das Austreten von Gasen oder Stuhl (auch bei Bewegung oder Druck) verhindert.
Hämorrhoiden sind an sich keine Krankheit, sondern eine anatomisch normale Struktur, die eine wichtige Funktion erfüllt. Probleme entstehen erst, wenn sie sich vergrößern oder entzünden, was zu Beschwerden wie Juckreiz, Schmerzen odet Blutungen führen kann. In solchen Fällen spricht man von einem Hämorrhoidalleiden.
Wenn es nach dem Stuhlgang blutet: Üben Sie sanft Druck auf die betroffene Stelle aus. Pressen Sie zum Beispiel gefaltetes sauberes Toilettenpapier auf den blutenden After. (Verwenden Sie sauberes Material, um eine Infektion zu vermeiden). Meist kommt die Blutung so zum Stehen.
Eine ballaststoffreiche Ernährung und ausreichend Flüssigkeit (mindestens 1,5 bis 2 Liter täglich) machen den Stuhl weicher und verringern den Druck auf die Hämorrhoiden. Vermeiden Sie starkes Pressen.
Wenn sich Hämorrhoidenblutungen nicht stoppen lassen oder die Blutungen wiederholt auftreten, suchen Sie ärztliche Hilfe. Nein, das ist kein peinliches Thema! Bitte sprechen Sie mit ihrem Arzt, wenn es öfter zu Blutungen nach dem Toilettengang kommt, man kann das einfach behandeln.
Kopfverletzungen (z. B. durch einen Sturz beim Fahrradfahren)
Kopfschmerzen
Blut im Urin
Schwarzer Stuhl (Teerstuhl)
Teerstuhl ist deshalb ein ernstzunehmendes Symptom, das sofortige ärztliche Abklärung erfordert, besonders wenn Sie bereits Magenprobleme hatten. (Hinweis: Rote Beete, Rotwein und Eisentabletten können den Stuhl ebenfalls schwarz färben). Falls Sie Teerstuhl bemerken, suchen Sie umgehend einen Arzt auf oder begeben Sie sich in die Notaufnahme.
Blut im Stuhl
Ihr Arzt kann durch Stuhlproben, eine Darmspiegelung oder andere Untersuchungen die genaue Ursache herausfinden und die geeignete Behandlung einleiten.
Vielleicht haben Sie eine Infektion mit Bakterien. Salmonellen oder Shigellen können die Darmschleimhaut reizen und blutigen Durchfall verursachen. Dann hilft eine antibiotische Therapie.
In manchen Fällen wird die Blutung durch Darmpolypen verursacht, wie es bei einigen meiner Patienten der Fall war. Diese Polypen wurden bei einer Darmspiegelung entfernt, wodurch das Blutungsrisiko beseitigt wurde. Interessanterweise wurde durch den Blutverdünner die Polypenblutung überhaupt erst sichtbar, was eine frühe Behandlung ermöglichte.
(Polypen können sich über Jahre zu Darmkrebs entwickeln, und eine Vorsorge-Darmspiegelung kann dieses Risiko verringern. Daher ist die regelmäßige Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen sehr wichtig, um Darmkrebs vorzubeugen.)
Zusammenfassung
Denken Sie daran: Blutungen treten selten auf. Und eben noch seltener, wenn Sie Bescheid wissen und verletzungsträchtige Arbeiten im Alltag meiden.
Die blutverdünnende Therapie wird auch sicherer, wenn Sie wissen worauf sie achten sollten, und wie sie mit kleinen Verletzungen umgehen. Und natürlich auch, wenn Sie sich bewusst sind, welche Situationen schnelle Hilfe durch Fachkräfte benötigen.
Die modernen Blutverdünner, die bei Vorhofflimmern eingesetzt werden, reduzieren das Schlaganfallrisikos, und unterstützen damit, dass Sie gesund alt werden können.
Sie erfordern trotzdem eine sorgfältige Anwendung und Vorsichtsmaßnahmen bei Verletzungen und medizinischen Eingriffen.
Deshalb sage ich zu meinen Patienten mit Vorhofflimmern, das gleiche, was ich zu meiner Mutter gesagt habe (Natürlich nachdem ich in jedem Einzelfall erneut Vor- und Nachteile genau gegeneinander abgewogen habe):
"Ich empfehle, dass Sie wegen des Vorhofflimmerns einen Blutverdünner einnehmen!"
"Ja, das Blutungsrisiko steigt damit etwas. Aber für Sie wäre es gefährlicher den Blutverdünner nicht einzunehmen!